piwik no script img

Nun komm ich als Karl May

■ Jerry Cotton alias Heinz Werner Höber im Künstler-Club »Die Möwe«

Bislang hat er 514 Kriminalromane geschrieben, davon 352 im Namen von Jerry Cotton. Anfang der Fünfziger hat er damit angefangen und bis heute nicht aufgehört. Da kann Heinz G.Konsalik mit seinen popeligen 135 Tundra- und Taiga-Sagen einpacken. Denn zu den 514 Kriminalromanen kommen noch hinzu: Zwei heitere Artikelserien, fünf Fortsetzungsromane für Zeitungen, eine Polizeihörspielserie für die Deutsche Welle, verschiedene Kurzhörspiele (Krimis wie Satiren), fünf verfilmte Drehbücher und rundweg 400 Zeitungsglossen, -artikel,- satiren, -berichte ('Freie Presse Bielefeld‘, 'FAZ‘ u.a.). Nur einmal hat Heinz Werner Höber einen Kriminalroman unter seinem bürgerlichen Namen veröffentlicht und da war es dann auch gleich ein rororo-Thriller: Nun komm ich als Richter, umgehend als bester deutschsprachiger Kriminalroman des Jahres 1989 ausgezeichnet, was im engeren wie im weiteren nicht viel bedeuten muß.

Vielschreiber Höber hatte am Freitag abend zu einer Lesung plus Signierstunde plus gemütlichem Beisammensein in den Ostberliner Künstler-Club »Die Möwe« in der Hermann-Matern-Straße geladen, und gut 30 Interessierte waren gekommen. Der Höber-Abend ist mit zwei Runden angesetzt: Zuerst die Abteilung »Traurig-Nachdenkliches«, danach »Heiter-Sarkastisches«. Den ersten Teil bestreitet Höber in einem Vorlesezimmer mit Kleinbühne, auf der zwei Sessel, ein Caféhaustisch und eine Stehlampe für die Atmosphäre eines guten Wohnzimmers sorgen. Für das Publikum stehen Siebziger-Jahre-Jugendzimmer-Sessel bereit. Die Bühne ist eingerahmt von rotem Samt und Plüsch, während der Zuhörerraum eine hellbraune, abwaschbare Plastiktapete mit Holzmasur vorweisen kann. Alles zusammen ergibt das eine befremdliche Mischung aus Boudoir und Kleinstadteisdiele.

Bevor er loslegt, stellt sich Höber als Anwalt der Schwachen vor, für sie wolle er sprechen. Man solle im übrigen nicht der alten SED-Propaganda glauben. Er schreibe keine blutrünstigen Gangsterromane. So sei der Jerry-Cotton-Krimi Die grausamen Engel ein sozialkritischer Anti-Ku-Klux-Klan-Roman und Pier 17 (ebenfalls Jerry Cotton) ein Lehrbuch in Demokratie.

Nachdem er klargestellt hat, wen man vor sich hat, greift er zu seinem Thriller Nun komm ich als Richter. Darin geht es um einen Überlebenden aus Auschwitz, den »Toilettenmann« eines Hotels. Dieser trifft dort auf einen berüchtigten KZ-Arzt, der unbehelligt davongekommen ist. Mit einigen anderen ehemaligen Gefangenen beschließt der namenlose alte Jude, den vieltausendfachen Mörder hinzurichten, und zwar in einer zur Gaskammer umgebauten Toilettenkabine. Für einen deutschen Krimi ist das eine geradezu brillante Idee. Nur leider entspricht Höber genau dem, was er in seiner Selbstbeschreibung betont hat, dem Schreiber von Sozialkritik und Lehrbüchern in Demokratie. Und darum darf der alte Mann nicht einfach Rache üben, sondern muß unentwegt Erbauliches von sich geben. Darüber hinaus ist er in deutscher Wissenschaft und Literatur hochgradig bewandert, was ihn zu einem wertvollen Menschen, zu einem deutschen Kulturträger macht, der als solcher das Mitgefühl des belesenen Mittelstandes verdient. Ohne Nietzsche-Zitat kein Mitleid. Ganz besonders abgefeimt wird es, wenn der in Schlesien geborene Höber den alten Juden darüber jammern läßt, daß Breslau und Königsberg keine deutschen Städte mehr sind. Zehn Seiten liest Höber aus dem Thriller, der eigentlich ein moralischer Diskurs eines guten Deutschen ist, bricht dabei in Tränen aus und mit ihm der halbe Saal.

Auf Regen folgt Sonne: die zweite Runde mit den angekündigten »deftig-melancholisch-satirischen« Schnurren wird in der »Möwe« absolviert. Wegen der Gemütlichkeit werden Sessel, Caféhaustisch und Stehlampe mit rübergeschleppt. Das dreißigköpfige Publikum schaut gespannt auf die Leseecke, unter ihnen DDR-Hobby-Yuppies à la Peter Diestel, ebenso wie ältere Damen im besten Ausgehkleid. Höber erzählt von seiner Liebe zu Karl May und reißt dabei mindestens fünfmal den Witz von den edlen roten Brüdern, die es in den Winnetou-Büchern gegeben habe, aber eben nicht im Sozialismus. Beifälliges Nicken an den Biertischen. Das war deftig, vielleicht auch satirisch. Gelacht wird allerdings kaum, nur genickt. Seltsame Sitten haben sie in Ost-Berlin.

Während Höber von Karl May erzählt, wird mir klar, daß der vielschreibende Krimiautor in die Fußstapfen des vielschreibenden Abenteuerromanciers gestiegen ist. Nicht nur weil Jerry Cotton ähnlich wie Winnetou in der DDR verboten war. Karl May schuf den edlen, hilfreichen, guten und gebildeten Apatschen. Heinz Werner Höber kontert mit dem edlen, hilfreichen und gebildeten Juden. Der Apatsche fungierte als Vorbild für die heruntergekommenen Europäer, der Jude hat seine Lektion in Auschwitz gelernt und avanciert zum Vorbild für alle Deutschen, die gut werden wollen, wofür man hierzulande den Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman erhält.

Kein Zweifel: Höber hat das Erbe Karl Mays angetreten, womit nichts gegen den Schöpfer von Old Shatterhand gesagt sein soll. Nach der heiter-melancholischen Schnurre über sächsische Nachkriegszeit, bei der wieder viel beifälliges Nicken die Runde machte, bin ich dann gegangen. Die Gaststätte war sowieso überheizt. Auch so eine merkwürdige DDR-Sitte. Dralle

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen