Beethoven, unser Freund

■ Herbstakademie: Piano-Star Paul Badura-Skoda spielte Beethoven-Klaviersonaten

War der Rezensent gescheitert? 1824, zur Veröffentlichung der Noten von Beethovens letzter Klaviersonate in c-moll (op.111), erhielt die Berliner Allgemeine Musikalische Zeitung einen Brief des mit der Rezension Beauftragten, in dem dieser sich als ein bornierter Schulmeister erwies, unfähig, mit solch unerhörter Musik etwas anzufangen. Alle gültigen Regeln der Komposition sah er in Frage gestellt, das Werk verletze die elementaren Gesetze der musikalischen Schönheit. Immerhin gestand er sein Versagen ein und sandte die Noten zurück.

Der Brief war fingiert. Der wirkliche Absender war der spätere Beethoven-Biograph — und glühende Verehrer des Meisters — Adolf Bernhard Marx. Die esoterische Gesinnung gehörte von Anfang an zum Beethoven-Kult: Man zählt zu einer kleinen Gemeinschaft erlesener Spezialisten; die dummen Regelfuchser und Spießer werden's nie verstehen.

Daß in Beethovens Sonate Unerhörtes geschieht, erkannte auch die Gegenpartei: Wo hat man schon einmal einen 12/32-Takt gesehen? (Beethoven hat hier den off-beat des Jazz und das dazugehörende Körpergefühl gefunden; er zwingt die SpielerInnen durch die absurde Taktart und die noch verrückteren Vierundsechzigstel-Triolen zur hektisch vorwärtsdrängenden Auffasssung der Stelle!) Ein anonymer Rezensent fand, daß die „Dauer (des Variationssatzes) bei aller Neuheit doch eine gewisse Einförmigkeit hervorbringt“ und sprach von der „Überfülle der Gedanken des Komponisten, doch auch von seiner Eigenheit, um nicht Bizarrerie zu sagen.“ Auch bei den Gegnern schon ein zähes Klischee: Der arme Mann schrieb solchen Unsinn nur, weil er taub war.

Was davon war bei Paul Badura-Skodas Beethoven-Spiel im Rathaus zu hören? Der Pianist, einer der Großmeister der Zunft, präsentierte einen anderen Beethoven. Mit großer Freundlichkeit geleitete er die zahlreich erschienene Gemeinde über die Abgründe hinweg. Die langsamen Variationensätze aus op.109 und 111 gingen ihm flott von der Hand.

Die Themen verleiteten ihn nicht zu metaphysischem Brüten, sondern präsentierten sich als schöne, klare Melodien. Wo bei anderen die rätselhaften Akkorde der vierten Variation in op.111 aus undurchdringlichem Nebel der Bässe aufsteigen, kriegt die Sache bei Badura-Skoda eine klare Kontur: Sicher pendelt die linke Hand nur zwischen c und g hin und her.

Im g-moll Arioso im Schlußsatz von op.110 (“ermattet, klagend“) versagt dem Sänger quasi die Stimme; die Linie ist durch Pausen zerrissen. Hier erschien mir Badura-Skoda schon beinahe spröde: Er versagte sich jedes Schwelgen im Schmerz und machte die Sache noch trockener, indem er die Begleitakkorde kurz artikulierte und beinahe mechanisch wiederholte. Einerseits schützt solche Sachlichkeit davor, in Schwulst und billige romantische Klischees zu verfallen. Auf der anderen Seite scheint sie mir das Schockierende an Beethovens Musik zu verfehlen. Badura- Skodas schnelle Sätze erscheinen ebenso maßvoll und wohltemperiert wie die langsamen.

Seine Technik mag einer der Gründe dafür sein. Manche heiklen Stellen klappten schlicht nicht. Doch steckt in einer solchen Technik auch die Erfahrung eines Pianistenlebens. Durch die kontrapunktischen Windungen des c-moll-Allegro wühlten sich Badura-Skodas Hände scheinbar völlig unabhängig voneinander und ohne daß es einer Lenkung durch den Verstand noch bedurft hätte.

Axel Weidenfeld