Pflichtübungen

■ Notstand bei Luchterhand

Dem Luchterhand Verlag muß es schlecht gehen, dachte ich. Peter Härtling und Max von der Grün als Leseexemplare, da ist die Not wohl groß. Denn Leseexemplare sind jene Bücher, die dem Buchhandel und der Kritik schon vorab bereitgestellt werden, weil der Verlag auf diese Bücher setzt, für sie um Beachtung wirbt und mit ihnen seinen Stolz bekundet. Und ich blieb meinem Entschluß treu, diesen Notstand nicht noch öffentlich und genußvoll breitzutreten, bis vor einer Woche mein Auge auf eine nahezu halbseitige, durchaus selbstbewußte Anzeige in einer vom gebildeten Publikum geschätzten Wochenzeitung fiel, in der jene Peinlichkeiten unübersehbar annonciert wurden. Mithin gebe ich bekannt:

Der neue Roman Max von der Grüns, der sich dynamisch und beziehungsreich „Springflut“ nennt, gibt vor, das Aussiedlerproblem zu behandeln, nebenbei die üblen Methoden des Sensationsjournalismus zu geißeln, eine Ehekrise zu schildern, ein Glaubwürdigkeitsproblem zu beschreiben, spannend, mitreißend und aktuell zu sein und alle diese Vorhaben mit einer kriminalistisch organisierten Geschichte lesbar zu machen. Und nichts, aber auch gar nichts davon ist gelungen. Es handelt sich um eine in ihrer gnadenlosen Vollständigkeit lähmende Anhäufung von Klischees, in denen weder die miniberockte und läufige Sekretärin, noch der sensationsgeile und zynische Chefreporter, noch die dummdreisten und fremdenfeindlichen Biedermannsnachbarn fehlen; alle handelnden Personen unentwegt vor unterdrückter Wut stöhnen, sich gegenseitig umbringen könnten (das aber gewiß nicht tun), heuchlerisch lächeln, gepreßt Antwort geben, mit Impertinenz fortfahren und dazu eifrig nicken. Es handelt sich, kurz gesagt, um einen sozialdemokratischen Groschenroman, und alle Beteiligten sollten sich schämen — Max von der Grün, der Besseres kann, zuallererst.

Der Fall Peter Härtling ist naturgemäß weniger spektakulär. Obwohl schon etwas dazugehört, mit einer Herzoperation autobiographisch zu wuchern, denn wenn man ein schwaches Herz hat, sollte man es auch zu schützen wissen. Es ist der gute, alte Peter Härtling, der noch ein bißchen weicher und diffuser geworden ist, es mit sich und der Welt noch besser meint, das lyrische Du noch schamloser nutzt und in jenem beklommenen Innehalten vor dem Leben noch schamhafter traurig ist, als wir es schon gewohnt:

„Ich habe sie nicht hergebeten.

Sie ist mir nicht eingefallen.

Plötzlich ist sie gegenwärtig, ein Gefühl, das Gestalt annimmt, das ich ansprechen kann.

Du.

Ich rufe sie mit einem anderen Namen, der uns für die Zeit einer kurzen Erzählung Erzählung verbinden wird.“

Personen tauchen in der „auf sonderbare Weise unvertrauten Kulisse“ (wie unvertraut? wie sonderbar?) auf, treten wieder ab und hinterlassen keine Spur beim Leser. Die Sprache latscht auf den abgetretenen Wegen der deutschen Innerlichkeit daher und zieht die Füße nach. Dieser Roman bildet nichts ab, weder die Umwelt noch das Innenleben, er beschreibt nichts und imaginiert nichts, entzündet nichts und weckt nicht das mindeste Interesse. „Herzwand“ ist die verlegene Pflichtübung eines Autors, der nichts mehr zu sagen hat und gleichwohl das Schreiben nicht lassen kann.

Dem Luchterhand Verlag muß es schlecht gehen, und er hat sein Schicksal wohl verdient. Man tut seinen Autoren mit Werbung keinen Gefallen, wenn die beworbenen Bücher so sind. Man tut den Autoren einen Gefallen, wenn man ihnen die Manuskripte freundlich, aber endgültig zurückgibt. Damit es nicht die Leser tun. es

Max von der Grün: „Springflut“

268 S., geb., DM 39,80

Peeter Härtling: „Herzwand“

208 S., geb., DM 32