Der Sturz des Tyrannen

Ein notwendiges Buch über Rumänien  ■ Von Erich Rathfelder

Für viele westliche Linke sind östliche Dissidenten immer noch schlicht ein reaktionärer Haufen. Die östliche Haltung ist selbstverständlich gegen den Stalinismus eingenommen, was in weiten Teilen der westlichen Linken (außer den Spontis der siebziger und den Ex- Maoisten der achtziger Jahre) auf Unverständnis stieß. Der strenge Begriff von Demokratie, der sich in der östlichen Linken herausbildete, war für manche Westler nicht nachzuvollziehen, schöpften die doch ihre Identität gerade aus der „Entlarvung“ der Institutionen der „formellen Demokratie“.

In diesem Konflikt blieben Übereinstimmungen beider Strömungen im Hintergrund: beide haben die Frage nach der nationalsozialistischen Vergangenheit oder Kollaborationsbereitschaft der Elterngeneration — die sich auch dem stalinistischen System anpaßte — gestellt. Beide Strömungen treten gegen Nationalismus auf, Teile davon auch gegen Antisemitismus. Die östlichen Dissidenten haben zudem die Erfahrung gemacht, daß gerade solche Haltungen in den stalinistischen Strukturen überwintern konnten. Und beide Strömungen wollen sich für unterdrückte Minderheiten engagieren.

Die älteren rumäniendeutschen Autoren des Buches „Der Sturz des Tyrannen“, Richard Wagner und William Totok, waren Mitglieder der bekannten „Aktionsgruppe Banat“, einer literarisch-politischen Vereinigung, die Anfang der siebziger Jahre in Temeswar nicht nur in literarisch interessierten Kreisen für Furore sorgte. „Wir haben das Regime von links kritisiert“, schrieb Totok einmal an anderer Stelle, „wir haben Marcuse gelesen, wir haben die rumänische Wirklichkeit an der marxistischen Theorie gemessen — und wir haben die Unverschämtheit gehabt, in der Nazi-Vergangenheit vieler unserer rumäniendeutscher Landsleute herumzustochern“. Nach dem Verbot der Aktionsgruppe und Gefängnisaufenthalten (Totok neun Monate) krochen ihre Mitglieder bei dem erlaubten „Adam Müller-Guttenbrunn“-Literaturkreis unter, wohin sich auch die jüngeren Autoren Herta Müller und Helmuth Frauendorfer orientierten, bis sie nach einigen Erfahrungen mit der Securitate allesamt 1987 nach Berlin (West) übersiedeln mußten. Die Mitautorin und Sozialwissenschaftlerin Mariana Hausleitner hatte Rumänien dagegen schon 1966 verlassen.

Es handelt sich bei dem Buch nicht um eine Chronologie der Ereignisse, die schließlich zum Sturz der Ceausescu-Diktatur führten, auch wenn sich Richard Wagner ausführlich mit dem Aufstieg Ceausescus in Partei und Staat beschäftigt. Es handelt sich vielmehr um eine Textsammlung, bei der es um die Mechanismen geht, die psychologischen Dimensionen der Unterdrückung, um die geschichtlichen Wurzeln jener Verhaltensweisen, die den diktatorischen Staat erst möglich machten und jetzt noch weiterwirken, um die „Kollaboration, den Opportunismus, die Gedankenlosigkeit, die Korruption, die Angst“ (Richard Wagner).

Herta Müller beschreibt den Alltag, das Anstehen um gefrorene Hühnerköpfe, die Konfektionsläden mit ihren „Kolonnenkleidern“, die alltägliche Entwürdigung, wenn „Hunger und Seide“ aufeinandertrafen. Das Individuum wurde klein und unmündig gemacht, die Insignien der Macht verschonten nicht einmal den Blick auf die Natur: „Auch Thuia, die Silbertanne, diese immergleichen hohen Bäume, die die Villen der Nomenklatura säumten“, gehörten wie die rote Nelke, „ausdruckslos und haltbar“, „zu den Pflanzen der Macht“. Was blieb, war die Sehnsucht. Oder das Sich-Aneignen der falschen Insignien. „Oft steckten die Menschen rumänische Zigaretten in ausländische Schachteln.“

Wer dieses Oben und Unten nicht anerkannte, wer der aus Anpassung und Angst gewirkten Wirklichkeit entfloh, geriet in die Hände der Securitate. Die Autoren versuchen nicht, ihre eigenen Erfahrungen hinter Allgemeinem zu verstecken. Selbst gegenüber dem Geheimdienst gab es die von vielen Rumänen bis heute geleugneten Möglichkeiten, sich zu wehren. Die ersten Annäherungen der Agenten an die Intellektuellen geschahen nämlich auf sanfte Weise, über ein Gespräch, wie es dem damals jugendlichen Helmuth Frauendorfer ergangen ist. „Ich sollte ihnen Berichte schreiben über das, was im Literaturkreis gelesen und diskutiert wurde.“ Damals, 1978, wirkten noch Mechanismen, die später verloren gingen. Indem er die Gespräche im Literaturkreis öffentlich machte und die Hilfe eines Parteifunktionärs in Anspruch nahm, verschaffte er sich eine Ruhepause. Später jedoch, in der Endphase der Diktatur, seit 1985, gab es solche Schutzmechanismen immer seltener.

Die Angst von damals wirkt heute noch. Auch wenn die jetzt herrschende Front der Nationalen Rettung sich nicht in der Kontinuität des alten Regimes sehen will, die alten Mechanismen und Verhaltensweisen sind noch nicht überwunden. „Ich lese Zeitungen und stelle mit Entsetzen fest“, berichtet Frauendorfer nach seinem ersten Besuch in Temeswar nach der Revolution, „daß die Schreiberlinge dieselben sind... Der Wortschatz, der Stil“ auch. Die meisten Menschen ergreifen keine Initiative, sie verharren und „warten noch auf das grüne Licht aus Bukarest . Bisher ist die Opposition, deren Geschichte der Autor ausführlich beschreibt, noch zu klein, um die Lethargie zu verdrängen.

Doch in dieser auf Demokratie drängenden, antikommunistischen Opposition in Rumänien wirken ebenfalls die Kontinuitäten der rumänischen Geschichte nach. Die neue Pressefreiheit wird mißbraucht, „um den rumänisch-ungarischen Konflikt neu auszutragen“. Mit dem Sturz des Tyrannen sind die Nationalitätenkonflikte im rumänischen Vielvölkerstaat, in dem Ungarn und Serben, Roma und Deutsche, Juden und Türken, Gagausen, Slowenen, Griechen und Armenier leben, wieder offen aufgetaucht. Totok beschreibt in seiner breit angelegten historischen Darstellung die Auseinandersetzungen um die Minderheitenrechte seit der Gründung Großrumäniens 1918. Der Autor, der schon in seinem Buch „Die Zwänge der Erinnerung“ (Junius Verlag 1988) auf die unrühmliche Rolle der Deutschen eingegangen war, die sich zu Statthaltern des Nationalsozialismus degradieren ließen und nun ihre alte Heimat hinter sich lassen, weist auf die Stärke nationalchauvinistischer Haltungen im Apparat der Diktatur hin und macht so erklärlich, warum heute rechtsradikale Organisationen wie „Vatra Rumaneasca“ von hohen Stellen Protektion erhalten.

Vielleicht hilft dieses Buch bei der „Übersetzungsarbeit“ zwischen Ost und West. Für diejenigen, die an Rumänien interessiert sind, gehört es in den Bücherschrank.

Richard Wagner/Helmuth Frauendorfer (Hrsg.): Der Sturz des Tyrannen, rororo aktuell, 183 S., 8,80 DM.