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Prämiertes Hauen, präzises Feuern

■ »Werkspuren« — Philip-Morris-Stipendiaten stellen in den Weddinger Bildhauerwerkstätten aus

It takes art to make a company great«, heißt es beim Sponsor. Umgekehrt gilt längst in Zeiten maßloser Kunst und Mengen von Künstlern: »It takes a company to make art.« Ein kluger Sponsor enthält sich inhaltlicher Eingriffe, fördert Kritik und Provokation, sind doch »die jungen Künstler diejenigen, die mit als erste neue Trends und Richtungen in der Gesellschaft aufspüren« (Philip Morris), was dem Geldgeber eine optimale Marktanpassung (Genußmarke) garantiert. Im Idealfall ziehen Kunst und Kommerz an einem Strang: So ist die »Förderung der Künste für das Unternehmen Philip Morris sowohl Verpflichtung, aber auch eine Gelegenheit, einen Beitrag zur Entwicklung gesellschaftlicher Bedingungen in den Städten und Gemeinden zu leisten, in denen wir als Unternehmen auch tätig sind«, meinte der Vorsitzende der Geschäftsführung der 1970 gegründeten deutschen Niederlassung in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung Werkspuren. Das europäische Konzept der Regionalisierung von Kulturförderung lohne nicht nur von der »Seite der Manpower« — Berlin, München und seit kurzem Dresden sind die Produktionsstätten des Unternehmens. Die zweiwöchige Ausstellung Werkspuren ist die Glanzschau eines Sponsoring-Renommierobjekts und soll vier Jahre Stipendiatenförderung in den Weddinger Bildhauerwerkstätten des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK) dokumentieren.

Werkspuren soll »Einflüsse eines Schaffensorts dokumentieren und unbekannte Arbeitswelten eröffnen«. Doch die Ausstellungsobjekte wurden gar nicht für den Ort konzipiert, sondern von dem Galeristen Jürgen Dölle extra angerichtet. Die fünfzehn erwählten Ex-Stipendiaten weilen inzwischen großteils anderswo und schickten ihre Altkunst mit der Post. Übrige Werkspuren wurden getilgt: Zwecks Stipendiatenschau wurden flugs die Werke der übrigen dort arbeitenden Künstler ins Freie geräumt und sind bis zum Normalbetrieb Wind und Wetter ausgesetzt. Unter einer Plastikplane schmort eine riesige Hand bis zum regulären Wiederbetrieb. Der BBK ist darüber auch »nicht glücklich«, die Ausstellung soll eine Ausnahme bleiben.

Drinnen, in den riesigen Hallen, können sich die auffaltbaren Holzzylinder eines Jörn Kausch, die kleinteilig gekneteten Liegewiesen eines Thomas Stimm, die kompakten Stahlnähmaschinen Michael Kramers oder auch das in seiner Reduktion überzeugende Herrentaschentuch Monika Brandmeiers nur schwer gegen Heizungsrohre, Balken und Träger der ehemaligen Tresorfabrik durchsetzen. Denn mit dem Raum wurde kaum gearbeitet. Eine Ausnahme ist Michael Deimls König Lavra. Seine Installation aus zu Rechtecken geformten Baugittern, mit unzustellbaren Briefen und Konfetti gefüllt, hängt an Fäden, die sich über zwei Stockwerke durch ein Fenster bis zu einer zwanzig Meter weiter stehenden Eiche ziehen. Die Fäden folgen nicht nur dem Lichteinfall, sondern sollen auch im Wind singen und ein (Brief-)Geheimnis verkünden wie einst die Geigensaiten des König Lavra in einer tschechischen Sage.

Die Aufgabe der Erweiterung der Skulptur in Raum und Zeit lastete also voll auf den Schultern der Performer des Rahmenprogramms am Eröffnungsabend. »Tischkonzert«-Berufsperformer Horst Gläsker wirbelte als musizierender Indianer zwischen Tisch, mehreren Stühlen und diversen Blasebälgen hin und her; der Schweizer Explosionsspezialist Roman Signer, der seit den 70ern mit Eis, Wasser und Kälte gesprengt hat und Mitte der 80er Jahre mit einer Rakete um die Wette gelaufen sein soll, gab sich bescheidener. Er feuerte in knapp zweiminütiger Aktion in mit Sandkegeln gefüllte Tonnen und »vernichtete« (Christoph Tannert) damit seine Schüsse.

Von einem ähnlich diffizilen Kunstverständnis, das bereits die Vereinnahmung der Provokation in den Kunstprozeß miteinbezieht, war Kain Karawahns nächtliches Spektakel Im Kreuzfeuer der Kritik · Versuch einer Bestätigung des Unterhaltungswerts zeitgenössischer Kunst geprägt. Hauptdarsteller Käthe Be zog im Feuerwehranzug märtyrerhaft durch die Panke, im Schlepptau ein brennendes schwimmendes Bett (Das Künstler). Aufs erschröcklichste begleitet von einem gemischten Chor, hatte er zehn Kreuzskulpturen alias zehn Kritikerinnen mit »innerem Feuer« zu entzünden. Den Höhepunkt der Aktion bildete die feierliche Verbrennung von dreihundert Holzkreuzen (Kreuzberg). So fand ein real existierender Mythos noch vor dem dritten Oktober ein würdiges Ende und seine Auferstehung in der Kunst.

Nach den zwei Wochen Ausstellung beginnt in den Hallen der ehemaligen Arnheimschen Kassen- und Tresorfabrik, die seit 1985 als Bildhauerwerkstätten genutzt werden, wieder der Normalbetrieb. Für 350 Mark monatlich kann auf zugewiesenem Freiraum abgeholzt, gestählt und gehämmert werden. 70 Prozent der Unterhaltungskosten trägt der Senat, im letzten Jahr erhielt man einen einmaligen Bundeszuschuß, um die um hundert Prozent gestiegene Interessentenschar seit Öffnung der Mauer aufzufangen. Jetzt ist wieder der Senat gefordert, einen drohenden Planstellenabbau zu verhindern und das Hauen und Stechen der Künstler sicherzustellen. Dorothee Hackenberg

Werkspuren bis 14.10 in den Bildhauerwerkstätten, Osloer Straße 102, Berlin 65.

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