piwik no script img

Reingrätschen in die Berieselung

■ Das 4.Freiburger Videoforum/ Im Spannungsfeld zwischen Glotze und inhaltlicher Autonomie

Daß gerade die Glotze „das antiaufklärerische Medium per se“ und beim 4.Freiburger Videoforum Impulsgeber für die Standortbestimmung der VideoproduzentInnen war, offenbart das Dilemma der Video„bewegung“: einerseits die inhaltliche Autonomie zu bewahren, andererseits aber vom Fernsehen als dem einzigen Ort der Reproduktion ökonomisch abhängig zu sein.

Spiegel-TV zu Gast in Freiburg: Zwischen Werbung und Tutti Frutti wird „leicht konsumierbare Kost“ serviert, meinen die TeilnehmerInnen des Videoforums. Ihr Urteil: Auf der Mattscheibe bleibt nichts mehr von dem gesellschaftsverändernden, handlungsinitiierenden Anspruch der Video„bewegung“. Und dennoch filmen die Videogruppen im Auftrag des Fernsehens, fürs private ebenso wie für die öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Zum Beispiel das Kaos-Team aus Köln: Der schmutzige Krieg und Terror gegen Jugendliche im Baskenland. Von halbstaatlichen Terrorkommandos überfallene Jugendliche berichten — die Personen bleiben dem Betrachter jedoch fremd. Baskische Punk-Musik wird montiert, ohne deren Bedeutung im politischen Kampf in der Filmsprache auszudrücken. Ein Band, das der Fernsehästhetik aufsitzt, lautete die Kritik: „Der Film gibt dem Betrachter keine Chance, die baskischen Jugendlichen kennenzulernen.“ Peter Kleinerts Versuch, sich mit den schwierigen Produktionsbedingungen — „Wir hatten nur zehn Tage Zeit zum Drehen“ — herauszureden, wollte das Publikum nicht gelten lassen. Vielmehr klang der Vorwurf an, die Videogruppe habe TV-gerechtes ohne Tiefgang abgeliefert, das im Gedächtnis nicht lange haften bleibe. Schlußendlich gestand auch Kleinert ein: „Wir haben gegen ziemlich viele Prinzipien der Videoproduktion verstoßen.“

„Angesichts der Inflation von Informationen geht es nicht darum, Infos zu beschaffen. Die Videoproduktion muß vielmehr das Reingrätschen in die Dauerberieselung leisten.“ Daß es durchaus gelingen kann, diesen von einer Teilnehmerin forumlierten Anspruch einzulösen, belegen die zwei Bänder Babsi und Hätte ich mein Herz sprechen lassen, hätte ich den Film nicht gemacht. Das erste Video spielt in einem Berliner Bordell. Abseits von konventionellen Formen des Dokumentarfilms läßt die Produzentin, Miriam Dehne, die Zeit der Langeweile und des Wartens zwischen den Kunden spürbar werden. Einfühlsam und authentisch beobachtet die Kamera die Schlaflosigkeit, das öde Warten, die Zärtlichkeit unter den Frauen. Keine muß sich in Interviews „ausziehen“, über ihr Leben erzählen — die sinnlichen Bilder brauchen keine verbale Übersetzung. Ein Jahr lang hat die Autorin als Wirtschafterin in dem Bordell gearbeitet. Nur das, was sie erlebt hat, findet sich im Film wieder: An der Schwelle zum Zimmer kommt der Schnitt — „Ich bin nie mit drin gewesen“. Miriam Dehne hat keine Ausreden oder Verteidigungstiraden nötig; sie steht zu und hinter ihrem Film, der keiner weiteren Erklärungen bedarf.

Mit viel Beifall und dem „Eisernen Konrad“ bedachte das Publikum auch Hätte ich mein Herz sprechen lassen, hätte ich den Film nicht gemacht von Petra Aßmann, Ilona Holterdorf und Eva Löhr aus West-Berlin. Zwei Frauen, einst Freundinnen, die heute nichts mehr verbindet, spielen die Hauptrollen: die Filmemacherin Helga Reidemeister und Irene Rackowitz, die Protagonistin ihres Dokumentarfilms Von wegen Schicksal aus dem Jahre 1979. Reidemeisters Film durchbrach Ende der siebziger Jahre die bis dahin tabuisierten Lebensverhältnisse in Arbeiterfamilien. Einblick gewährte damals einzig und allein Irene Rackowitz, die ihr Innerstes nach außen kehrte. Zehn Jahre danach entsteht ein neuer Film: Helga hat Karriere gemacht, Irene ist an den Nachwehen des Films zerbrochen. Denn letztlich hat sie nichts anderes als die Rolle einer „Vorzeigeidiotin“ gespielt. Für die Dauer der Dreharbeiten gelang es ihr, ihren Verhältnissen zu entrinnen und über ihr Leben zu reflektieren, um nach Drehschluß wieder alleingelassen zu werden, ohne Chance [chancen hat eigentlich doch jedeR! d. s-in] oder Hilfe zur Veränderung — der Verzweiflung ausgeliefert. Unversöhnlich stehen sich die beiden Frauen als Repräsentantinnen ihrer Schicht gegenüber — der Film thematisiert die Unlösbarkeit des Widerspruchs und stellt damit die Frage nach der Verantwortung und Ethik dokumentarischer Filmarbeit.

Widersprüche sichtbar zu machen, gelang allerdings den wenigsten Produktionen: Mehrheitlich verharrte die Kamera in einer braven, zum Teil gefährlichen Beobachterposition. Opfer einer früheren Tugend der Videoproduktion wurde beispielsweise die Medienwerkstatt Franken mit ihrem Film über die Reps. Sie dürfen ungestört und schier endlos reden, ohne daß im Film verbal eine Gegenposition bezogen würde. Die KritikerInnen gingen mit den Nürnbergern denn auch nicht zimperlich um: „Der Schuß geht nach hinten los. Ihr laßt euch als Sprachrohr benutzen und über den Tisch ziehen.“

Nach vier Tagen Non-Stop-Programm im Freiburger Kommunalen Kino steht jedenfalls fest: Der Begriff „Gegenöffentlichkeit“ ist schwammig geworden, klassische „Bewegungsvideos“ sind nur noch schwer zu ertragen und Dokumentarfilme dürfen sich nicht damit begnügen, die Kamera konzeptionslos auf das Geschehen zu halten. Inhalte müssen sich vielmehr über eine ausgefeilte, durchdachte Film- und Bildersprache vermitteln. Es gilt, neue Bilder, Formen und Blicke zu suchen, die noch Veränderungskraft besitzen. Das Video auf dem Weg zum Kunstwerk, ohne die inhaltlichen Anliegen aufzugeben und sich selbst auf den bloßen Unterhaltungswert zu reduzieren. Andrea Hösch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen