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Kehren die Feudalherren nach Ruanda zurück?

■ Im zentralafrikanischen Ruanda ist ein Bürgerkrieg ausgebrochen/ Die 1959 vertriebenen Tutsi-Aristokraten wollen ihre alte Macht zurück/ Auch in den Nachbarstaaten haben die Tutsis in den letzten Jahren Rückschläge erleiden müssen

Berlin (taz) — Der Ausbruch bewaffneter Machtkämpfe in Ruanda erfolgt zu einem delikaten Zeitpunkt: Der Einparteienstaat des Präsidenten Habyarimana sieht sich nun sowohl der Opposition demokratischer Intellektueller als auch auch der Herausforderung durch eine militärische Macht gegenüber. Während im Norden Ruandas Kämpfe ausbrachen, wurden in der Hauptstadt Kigali Oppositionelle verhaftet, und am Freitag kam es zu Schießereien. Die Regierung Ruandas behauptete, die Urheber dieser Unruhen hätten die Hauptstadt per Linienbus aus Uganda infiltriert und seien nicht mit den Eindringlingen im Norden identisch. Inzwischen herrscht eine totale Ausgangssperre, Ansammlungen von mehr als zwei Menschen sind verboten.

Aus Furcht vor den seit Tagen anhaltenden militärischen Auseinandersetzungen haben bisher 1.000 Ausländer den zentralafrikanischen Staat verlassen. Truppen aus Frankreich, Belgien und Zaire sichern die Evakuierung ihrer Staatsbürger. Diplomaten berichteten, auf den Straßen Kigalis patrouillierten belgische Soldaten. Belgien hat nach Ruanda bisher 480 Soldaten entsandt, Frankreich 300. Zaire schickte 500 Mann zur Unterstützung der ruandesischen Regierung und kündigte die Entsendung weiterer 500 an.

Die aus Uganda eingedrungenen Rebellen, die sich „Inkontanyi“ (Ruandesische Patriotische Front) nennen, bestehen hauptsächlich aus im benachbarten Uganda lebenden Tutsi-Flüchtlingen. Die Tutsis bilden in keinem der zentralafrikanischen Staaten, in denen sie leben, die Bevölkerungsmehrheit, doch haben sie seit alters her große Macht über die Bauernvölker der Region. In Ruanda stellen sie neun Prozent der Bevölkerung, etwa 85 Prozent der 6,7 Millionen Ruandesen sind bäuerliche Hutus. Doch gehört den Tutsis nach Angaben von Oppositionellen mehr als zwei Drittel des ruandesischen Reichtums.

Der Konflikt zwischen Hutus und Tutsis in Ruanda hat weit zurückreichende Wurzeln. Zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert wanderten sie in das Gebiet des heutigen Ruanda ein. Ihre Feudalherrschaft über die bäuerliche Hutu-Bevölkerung des heutigen Ruanda und Burundi wurde durch die belgische Kolonialverwaltung gestärkt. Im November 1959 kam es zu einer Bauernrevolte der Hutu, die eine Massenflucht von etwa 150.000 Tutsis auslöste. Bei Wahlen Mitte 1960 und November 1961 konnte sich die Hutu-Partei „Parmehutu“ klar durchsetzen.

1962 wurde das Land unabhängig, doch immer wieder drangen Tutsi-Guerrillas ein. Ende 1963 organisierte eine Tutsi-Exilregierung aus Burundi eine größere Invasion, die aber fehlschlug; dem Gegenschlag fielen bis zu 20.000 Tutsis zum Opfer. 1973 kam es wiederum zu blutigen Feindseligkeiten, vor deren Hintergrund sich der jetzige Präsident Juvenal Habyarimana an die Macht putschte. Um den Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern, arrangierte er sich mit den Tutsis und beließ ihnen ihren Reichtum.

Der südliche Nachbarstaat Burundi blieb unterdessen auch politisch fest in den Händen der Tutsi- Elite. Periodische Hutu-Aufstände bewirkten lange Zeit nichts. Noch vor wenigen Jahren sah es sogar beim nördlichen Nachbarn Uganda so aus, als sei das Tutsi-Volk im Aufwind: Dort war 1986 Yoweri Museveni mit seiner „Nationalen Widerstandsarmee“ nach langem Guerillakampf an die Macht gelangt: Unter seinen Fittichen konnten zahlreiche der in Uganda lebenden Tutsi zu hohen Armeepositionen aufsteigen. So auch der Anführer des jetzigen Einmarsches in Ruanda, Fred Rwigyema, ein alter Freund Musevenis. Er wurde Vize-Verteidigungsminister.

Seit zwei Jahren ist die Position der Tutsi jedoch weniger rosig. In Burundi läutete Präsident Pierre Buyoya 1988 ein Reformprogramm ein, nachdem die Niederschlagung eines Hutu-Aufstandes wieder einmal 5.000 Menschenleben gefordert hatte: Erstmals wurde ein Hutu Premierminister. Die Tutsis versuchten daraufhin, gegen ihn zu putschen, und auch heute gärt es noch unter den Tutsi-Aristokraten Burundis. In Uganda entwickelten sich Dissenzen über den Status der Tutsis sowie Korruptionsvorwürfe November 1989 zum Bruch zwischen Museveni und Rwigyema: Der Vize-Verteidigungsminister wurde entlassen.

Der jetzige Versuch der Tutsis, in Ruanda die Macht zu ergreifen, kann somit teilweise als Selbstbehauptung einer alten Aristokratie gedeutet werden. „Die Tutsis streben eine Machtposition an, die vergleichbar ist mit der der Weißen in Südafrika“, sagt Filip Reyntjens, Dozent an der belgischen katholischen Universität RUCA. „Viele Tutsis sind reaktionär, aristokratisch und monarchistisch. Die Rebellengruppe, die jetzt (nach Ruanda) einfällt, beabsichtigt, die alten Verhältnisse — vor der Unabhängigkeit — wiederherzustellen.“ Doch ist es durchaus möglich, daß der Unmut der Ruandesen über die Diktatur Habyarimanas dieses Ziel in den Hintergrund treten läßt. Die Rebellenorganisation „Inkontayi“ jedenfalls ist bemüht, sich so demokratisch wie möglich zu geben. Nach den Repressionsmaßnahmen der Regierung in Kigali erklärte sie am Wochenende, auch die Hutu hätten sich ihrem Kampf angeschlossen. D.J.

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