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Rottweiler auf der Messe — muß das sein?

■ Hubert kam nicht vorbei — Skandalchronik der Buchmesse 90

Eine langweiligere Buchmesse hat es nie gegeben, lautet das allgemeine Stöhnen. Altgediente Profis, die mit glänzenden Augen am Mittwoch letzter Woche das Glas auf die zu erwartenden Skandale hoben, blickten gestern müde und verhangen, ja duster über die leergefegten Gänge, in denen die verdreckten Läufer trostlos ins Nichts zu führen scheinen.

Die Titanic-Crew hatte nichts Nennenswertes vorbereitet: weder wurde Unseld d. Ä. Autoschlüssel verlost (wie im letzten Jahr), noch mittels seriöser Pressemitteilungen eine ebensolche Zusammenarbeit von Suhrkamp und Aldi („Bücher in den Supermarkt“) bekanntgegeben. Der Stand des Verlags Matthes & Seitz, der druckte, was Hans Jürgen Syberberg unter dem Titel Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege in allerschönster Prosa hat unter sich gehen lassen („Wo die Sinne der Reize zusammenkommen, assoziieren, wo jedermann zuhause ist, teilnehmen kann, wo Urblitze der Erfahrung auf dem Grund neuer Welt, Begegnung jenseits der Erde beginnt, der Erde, auf der gehen und wirksam wurden, im Flug der Gefühle und Gedanken, in Katarakten der schnellen Schwerelosigkeit von Bildern und Tönen“), blieb unbehelligt.

Statt dessen fand eine Zusammenkunft kritischer Buchhändler passenderweise in der Halle „Entente“ statt, ergab dort aber nichts dergleichen. Die folgende kleine Skandalchronik, nach intensiver Recherche erstellt, ist typisch in ihrer Harmlosigkeit:

1. Der literarische Vertreter A. A. wurde mit einem blauen Müllsack auf dem gebeugten Rücken am vorletzten Tag der Messe am Ausgang festgehalten. Inhalt des Müllsacks: die vollständige und kritische Ausgabe (Übersetzung: E. T.) der Angelique (Angelique lebt!) aus dem Hause Pawlak.

2. Der literarische Vertreter Gü. D. beklagt sich über das Nichterscheinen von Hubert F., der vormals regelmäßig vorbeizukommen pflegte.

3. Am Strand von Klett-Cotta wurden schon in der ersten Nacht Halogenlampen im Wert von 2.000 DM gestohlen. Ein Verlust von Büchern wurde nicht festgestellt.

4. Ein einzelner älterer Herr wurde im Damen-WC gesichtet, verträumt an seinem Hosenlatz nestelnd. Ein weiterer Hinweis (Messeleitung!) auf die brisante übergroße Nähe von Herren- und Damen-WC.

5. Unter den Besuchern der Buchmesse befand sich auch ein literarisch interessierter Rottweiler ohne Maulkorb. Muß das sein?

„Der Nutzen“, wußte bereits Schiller, „ist das große Idol der Zeit, dem alle Kräfte frönen und alle Talente huldigen sollen. Auf dieser groben Waage hat das geistige Verdienst kein Gewicht, und, aller Aufmunterung beraubt, verschwindet sie von dem lärmenden Markt des Jahrhunderts.“ Elke Schmitter

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