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»Fuck the millionaires!«

■ Kevin Coyne im Quasimodo

Unbestimmt zeichnet sich irgend etwas am Rand des Bewußtseins ab. Erinnerungen an Präfigurationen: Bei den Doors hatte Kevin Coyne Jim Morrison ersetzen sollen, er war ein Punk vor der Punkerzeit, er war immer der unbekannte Star. Ein supersympathisches Siebziger-Jahre-Jungsgesicht fügt sich irgendwie im Kopf fast zusammen, um sich dann doch wieder zu verlieren.

Die Biographie setzt das Gesicht wieder zusammen: Der Engländer arbeitete in der Psychiatrie, als Sozialarbeiter hatte er hauptsächlich mit der Beratung von Alkoholikern zu tun. 1973 gab es mit Majorie Razorblade einen kleinen Hit. Kevin Coyne arbeitete mit dem Antipsychiater R.D. Laing oder mit Burroughs zusammen; er war das Vorbild von Sting, er schrieb, malte, sang, verlor sich im Alkoholnebel, ging 1985 nach Nürnberg, tourte durch die »bierkellers«, landete bei den Anonymen Alkoholikern und war eine Zeitlang Gaststar im Berlin- Musical Linie1.

Kevin Coyne singt Hits, die nie Hits waren, singt Hymnen, die niemand kennt, selbst wenn jeder den Eindruck hat, er würde sie kennen. »I said hallelujah, I'm so proud of you.« Der 46jährige hat die Zeit der grauen Haare schon hinter sich gelassen, schlohweiß weht sein Haar, blaßblau starren Schweinsäuglein ins Publikum. Kevin Coyne sieht wunderbar kompakt aus; mit einem runden Kugelbauch, wie man ihn sich selber wünscht; ein Symbol würdevoller Abgeklärtheit, ein Bauch, der die Hosenträger selbstverständlich werden läßt. Oder: Was bei normierten Körpern immer affig und aufgeregt wirkt, das ständige Hin- und Hergehen auf der Bühne, wo gar keine Nervosität am Platz ist, bekommt bei dem kleinen Dicken Sinn oder Tiefe, wie der Zigarettenrauch, den er tief hineinsaugt, die Faust, die er ab und an emporreckt, wenn er den Punk oder den Rocker raushängen, Dynamite Days im Stakkato vorbeiziehen läßt, immer richtige Kampfparolen wie »fuck the millionaires!« [Ich will nicht, die ham zwar Geld, dafür sind sie aber schrecklich phantasielos! d. säzzer] ins Publikum ruft. Wenn seine Stimme, a cappella, was vom »green land far away« erzählt, wo all die selbstverständlich Sympathischen Happy Day singen: die Langhaarigen, die Schnauz- oder Rübezahlbärtigen, die mit den weiten weichen Hosen, die Rocker von nebenan, die unfrechen Frauen, die keine Stretch- oder Miniröcke tragen, für die de Sade und Bataille zu Recht blöde Wixer sind. Es ist ein Concert für all die, denen Drogen wie Koks, Speed, Hasch usw. ein neumodischer Tüttelkram, ein affiger Blödsinn ist; für die, die lieber ordentlich einen trinken, weil Alk so schön beruhigt.

Die Musiker seiner »Paradiseband« — Keyboards, Bass, Gitarre, Drums — legen einen perfekten Klangteppich, der ein Loch hat — das ist die Spannung —, dann kommt die Stimme, näselnd wie Dylan oder als weißer Blues oder rauh irgendwo, am Rand der Klarheit oder kurz krächzend. Die Stimme füllt den Raum, den die Musik ihr läßt, nie ganz aus — sonst wär's Muzak, sonst wäre Kevin Coyne wirklich der Superstar, der er hätte werden sollen; die Stimme eckt irgendwo an und hält die Spannung. Es gibt kein Ende oder keine Komplettierung (»what a freudian little song it was«). Statt dessen werden handfeste und schöne Looser- und Blues-Wahrheiten thematisiert; Alpträume, Rasierklingen, eine »world full of foolness«. Doch in dieser Welt findet man statt verlogener Liebeshysterie wahre Freunde, ein Abschiedslächeln (Victoria Smiles) zum scheppernden Klavier, und am Tresen beginnt eine rührende Liebesgeschichte betrunkener Mittdreißiger. Detlef Kuhlbrodt

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