Skisärge/ Stiefelspoiler/ Fun-Klamotten

■ Auf die Erlebnise in den winterlichen bayrischen Bergen stimmt RÜDIGER KIND ein.

A

ls Egon Molz, leidenschaftlicher Skifahrer, 1978 erstmals seine Bretter in einem schlichten Fichtenholzsarg, den er am Dachträger seines VW-Käfers festgebunden hatte, zum Wilden Kaiser transportierte, gab es noch allerhand Getuschel und mitleidsvolles Kopfschütteln unter den zünftigen Wintersportlern. Wie bei allen revolutionären Erfindungen begannen sich auch Molz' Skisärge erst allmählich durchzusetzen. Bis die ersten vorurteilsfreien Skifreunde die unschätzbaren Vorteile seiner Erfindung, die von der Diebstahlsicherung über den Spritzwasser- bis hin zum Streusalzschutz reichen, erkannten, vergingen Jahre. Heute, da eine innovationsfreudige Wintersportindustrie Egon Molz' Idee aufgegriffen hat, sind seine mittlerweile patentierten, TÜV-getesteten und ADAC-empfohlenen, ganz im Gegensatz zum Urmodell jedoch aus korrosions- und entsorgungsbeständigem Plastik gepreßten Skisärge nicht mehr von dem winterlichen Erscheinungsbild unserer Autodächer wegzudenken.

Manch einer wird den abschließbaren „Ski-Safe“, wie letztendlich doch hosenscheißerisch am Spießergeschmack orientierte Marketingexperten Egon Molz' großen Wurf benannt haben, aber auch, ganz im Sinne des Erfinders, für andere Transportzwecke einsetzen. Vom Schmuggelgut bis hin zum Abtransport verunglückter Familienmitglieder im Falle einer Überlastung der örtlichen Pistenrettungsdienste: die Erfindung von Molz gibt tausendfache Erleichterung und Sicherheit für den ambitionierten Skifreund.

Doch greifen wir nicht vor — noch sind wir nicht auf dem Berg. Bekanntlich sind die Zeiten Luis Trenkers längst vorbei, als man sich noch mit Fellen an den mehrstündigen, beschwerlichen, letztlich aber doch beglückenden Aufstieg machte, um, oben am Berg angelangt, die Gipfelmütze über die Ohren zu ziehen, die Telemarkbindung festzuzurren und in halsbrecherischer Stemmbogentechnik ins Tal zu pflügen.

Heute, im Zeitalter der glattgewalzten Autobahnabfahrtspisten, geht nichts mehr ohne Stau. Der erste bildet sich vor dem immer überfüllten Parkplatz an der Talstation. Als ich nach 10minütigem Warten einen gefunden hatte — nichts wie runter mit den Brettern, rein in die Stiefel und ab zur Kasse, wo ich mir den Skipaß kaufte. Ich brauchte keine Stunde, bis ich in die Gondel kam, die mich zur nächsten Warteschlange, diesmal vor dem Sessellift, beförderte. Wie gut, daß meine Skistiefel über 3F-Megatechnologie unter Einbeziehung letzter Erkenntnisse aus dem Rennlauf verfügten. Mit „The Key“, dem neuartigen Einstellschlüssel, stellte ich die Stiefel kurzerhand auf „Walk Mode“, was mir bequemes Gehen und Stehen in der Schlange ermöglichte.

Es dauerte recht lange, bis ich zum Lift vorgerückt war, aber das machte überhaupt nichts aus. Im Gegenteil. Die Betreibergesellschaft hatte nämlich zur Einstimmung der wartenden Skifans einen Monitor montiert, über den ein Videofilm mit den spektakulärsten Skiunfällen flimmerte. Nicht wenige ließen sich in der Schlange extra zurückfallen, um den Film bis zum Ende anschauen zu können. Dann saß ich im Lift. In Erwartung der kommenden Wedelschwünge programmierte ich meine Stiefel schon mal auf Renneinsatz: „Canting Mode“ für präzise Einstellung der seitlichen Schaftneigung, „Power Flex Mode“ für die stufenlose Vorlagendämpfung und nicht zuletzt „Heel Lift“ für die subtile Anpassung der Ferseneinstellung. Fast hätte ich die Spoilereinstellung vergessen... Nicht auszudenken, wenn ich auf der schwarzen Buckelpiste ohne ausgefahrenen Spoiler abgehoben hätte! Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, mußte ich mich zum Absprung bereit machen. Doch der Memory-Effekt der Stiefelprogrammierung hatte wohl alles vergessen, jedenfalls gingen die Mikroschnallen mit integrierter Längeneinstellung auf und verhakten sich so unglücklich in den Makroschnallen meines Liftnachbarn, daß wir beide schicksalhaft aneinandergekettet aus den Sesseln kippten und uns am Boden wiederfanden.

Als ich mich wieder aufgerappelt hatte, stakste ich doch lieber im „Canting Mode“ zur Hütte, um etwas zu trinken. Auf der Sonnenterrasse schmorte schon allerlei Piz-Buin-Volk dem Hautkrebs entgegen. Hier verstand ich zum ersten Mal das Wort „Skizirkus“: Die Farbkombinationen der Skianzüge mit all den Renn-Neonstreifen waren wirklich zirkusreif. In der Schlange vor der Getränkeausgabe hatte ich Gelegenheit, die neuesten Trends der Wintermode vor Ort zu studieren:

Das Universalthema der Saison heißt „Multifunktion“. Meine Vorderfrau trug, wie ich ihrem Gespräch entnahm, ein Multifunktions-Satinschneehemd mit „Midnight-Snow“-Phantasiedruck in den Modefarben Schwarz-Rot-Gold. Ihre Gesprächspartnerin dagegen machte in ihrem Outfit, einem lässigen, lila-bunten Schlupfblouson mit hohem, schützendem Kelchkragen auch keine schlechte Figur. Aber: Sie hatte keinen Skipaßzipper! Entsetzlich!

Ich brauchte jetzt erst mal einen Obstler. In meinem Hirn wirbelte es nur noch von Windbreakern und Multifunktionsblusen in Satinoptik und „frechen“ Lederapplikationen. Benommen schwankte ich Richtung Schlepplift.

Eine fuchs- oder sonstwie schwanzbehangene Fränkin, die schon etliche Jagertees intus hatte, ließ sich mit mir liften. In beängstigender Schräglage erzählte mir was von der leidvollen Erfahrung als alleinreisende Gattin eines daheimgebliebenen Zahnarztes. Gerade als sie mich auf einen Jagertee nach gemeinsamer Abfahrt festnageln wollte, geriet sie mit ihren Skiern aus der Spur und glitt so unmerklich aus dem Schlepphaken, daß ich nicht mehr rettend eingreifen konnte. Das einzige, was ich in einer reflexartigen Bewegung zu fassen kriegte, war einer der vielen Fuchsschwänze von ihrem Schlupfblouson. Ich nahm mir vor, ihn als Maskottchen an meinem Autoschlüssel zu befestigen.

Endlich oben! Ich wollte mich gerade nach dem Gipfelkreuz umschauen und mich ins Gipfelbuch eintragen, als ein mächtiger Windstoß mir die Toni-Sailer- Mütze vom Kopf riß. Heli-Skiing, schoß es mir durch den Kopf, und richtig, schon ging der Hubschrauber auf dem Gipfelplateau nieder, und vier schrille Freestyletypen mit Stirnbändern entstiegen dem Vogel und redeten was von „losbrettern“. Dann bretterten sie los. Ich machte mich auf die Suche nach meiner geliebten Mütze, die mittlerweile ins Geäst einer Fichte gewirbelt worden war.

Als ich sie endlich wiederhatte, stand die Sonne schon recht tief. Abfahrt war angesagt. Irgendwie muß ich dann von der Piste abgekommen sein, jedenfalls war von Lift oder präparierter Piste bald nichts mehr zu sehen. Doch als erfahrenen Tourenfahrer konnte mich das nicht schrecken. Ich schnallte ab und stapfte solange durch den Wald, bis ein Wegweiser mich auf den Weg zum Berggasthof Breitenstein führte. Nach halbstündigem Marsch kam ich an. Mittlerweile ziemlich ausgehungert, ging ich geradewegs in die heimelig warme Gaststube. Munter ging's da zu! Ein lustiges Völkchen aus allerlei Herren Länder vergnügte sich an den Tischen beim Kartenspiel. Wie sich herausstellte, war ich in dem lustigen Asylantenstadel gelandet, den das Landratsamt Traunstein für 37 Afghanen, Chinesen und Albaner eingerichtet hatte, um ihnen in 1.100 Meter Höhe die Schönheit der bayerischen Bergwelt näherzubringen. Der Wirt, ein ebenso gemütlicher wie geschäftstüchtiger Traunsteiner, bemühte sich redlich, zwei Chinesen in die Geheimnisse des Schafkopfs einzuführen. Eine Gruppe von Afghanen in Multifunktionsjeans mit frechen Flickenapplikationen in glänzender Speckoptik versuchten währenddessen den Spezialschlitten, den ihnen das Landratsamt Traunstein zur Verfügung gestellt hatte, auf den Fahrweg zu hieven und die Abfahrt ins winterlich verschneite Schleching zu wagen. Ich fuhr mit.

Auf unserer halsbrecherischen Abfahrt gerieten wir auf die herrlich glattgewalzte Skipiste. Wie Blücher donnerten wir gen Tal. Die Sportsfreunde in ihren Fun-Klamotten wissen seitdem, was das Gesetz der Autobahn ist: Sie spritzten nur so zur Seite. Unten angelangt, schenkte ich den Asylbewerbern meine Ski samt Sarg. Beides können sie in diesem Winter besser gebrauchen als ich.