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Karpatenkind aus Biafra

■ Mathias Richling mit »Wieviel Demokratie ist es bitte?« in den »Wühlmäusen«

Das braune Cordbett steht als schiefe Bahn in der Bühnenmitte, Tagesdecke schwarzrotgold. Hineingesägt das Cockpit, von dem aus Mathias Richling, der Stuttgarter Zappel-Zelig, das deutsche Wesen im Tiefstflug erfaßt — ständig im Transit zwischen Politik und Supermarkt, Schwaben und Blankenese, zwischen den Geschlechtern, zwischen Kalauer und Philosophie, Nonsens und Zynismus.

Richling, dessen innovative fünfminütige Post-Tagesthemen-Satire unlängst vom öffentlich-rechtlichen Radarschirm verschwand, hat die traditionelle statische Nummer, den politischen Watschnmonolog überwunden. Keine Rolle, kein Thema, kein Schauplatz, keine Bezugsebene hat länger als fünf Minuten Bestand. Die Krämpfe, Grimassen, Zappeleien seiner Stammtisch-, Treppenhaus- und Lobbydeutschen liefert er schauspielerisch mit, als Illustration, niemals penetrant brettelnd. Vom bürgerlichen Entzugshorror Sobald ich eine Zigarette sehe, muß ich nichtrauchen führt die Dramaturgie konsequent über populistisches Hauptstadtgeplänkel (eindeutig beim Berliner Publikum anbiedernd) zum bedeutungsschlackernden Der Deutsche paßt nicht in die Welt, weil er die Welt ist. Doch von den Höhen der Berufsdenkerei — über Zeit, Geschichte, Demokratie, Parteienherrschaft, Christentum — kommt er immer wieder auch herunter, er überdreht, bis nichts mehr geht. Und dann fängt er neu an.

Dabei scheut Richling nicht, sich weiterhin am Kohl warmzumachen, dessen Imitation er züngelnd, silberblickend und in der typischen Kopfschieflage ganz locker drauf hat: Ich schwöre, daß ich das deutsche Volk mehren und wenden will. Richling hält sich nicht auf, Brandt, Blüm und Schmidt nur als Potpourri, der Dumpfheit angemessen, in einem Absatz.

Es geht um den Deutschen Menschen, um den, der den Urlaub nur als teure Zeitverschwendung begreift, die er auch zu Hause haben kann, um den, der im Grundgesetz nur eine Strafe, ein zweites Versailles sieht, dabei immer radikal jenseitig orientiert, nur für den Weg gemacht, nicht fürs Ziel: fasziniert vom Müll, den er produziert, damit die Nachbarn sehen, was er sich leisten kann, den armen Afrikaner beneidend, der aus seiner Not noch etwas machen kann, immer tief, würdig. Diese Vergänglichkeit. Diese Angst, wenn man nachts wach und sich das Gewissen rein liegt. Die blöde Angst, die nicht mehr alarmiert, sondern nur die nächste frißt.

Richling konfrontiert diesen Deutschen mit seinem Wunschgegenbild, dem Ami, dem angeblich oberflächlichen, eitlen und dummen — gar nicht schmeichelhaft, das Ergebnis. Konfrontiert den Deutschen mit seiner Verfassung, die für Menschen gilt, aber nicht für Neger. Und die im Bücherregal am besten aufgehoben ist.

Der Deutsche auf dem Weg in die innere und äußere Einheit, der Deutsche auf dem Weg nach Deutschland. Schön war's am Einheitstag. Ich trete aus Silvester und Neujahr aus, mir reicht der 3. Oktober. Ja, wenn bloß nicht die Kosten wären: 1.500 Mark pro Kopf, da hätte ich mir doch gleich ein Karpatenkind aus Biafra nehmen können. Das alles in grandiosem Tempo. Zwei Stunden lang und diesmal vor den Tagesthemen. kotte

Noch bis zum 8. Dezember mittwochs bis sonntags um 20 Uhr 30.

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