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Afrika droht „die ganze Wucht von Aids“

■ In Kinshasa trafen sich 1.000 Mediziner und Gesundheitsexperten zur Konferenz über die Immunschwächekrankheit/ Schon heute ist Aids in vielen Ländern des afrikanischen Kontinents zur häufigsten Todesursache geworden/ Hoffnung auf Impfstoffe

Kinshasa (dpa/taz) — Knapp zehn Jahre nach Beginn der Aids-Epidemie in Afrika zeichnet sich eine dramatische Ausbreitung des Virus über den gesamten afrikanischen Kontinent ab. „Die klinische Wucht der Aids-Lawine“, so der Aids-Experte der Weltgesundheitsorganisation WHO, James Chin, „wird in Afrika „erst in diesem Jahrzehnt spürbar“. Und ein Ausweg aus der Spirale von Hunger, Elend und Infektion scheint nicht in Sicht. Längst ist auch die junge, moderne Elite der gut ausgebildeten „Hoffnungsträger Afrikas“, betroffen.

Beim 5. Internationalen Aids- Kongreß in Kinshasa (Zaire), der am Wochenende zu Ende ging, machten Experten der Weltbank erneut den fragwürdigen Versuch, die Folgen der Aids-Epidemie in wirtschaftlichen Zahlen auszudrücken. In den rund 40 Staaten Schwarzafrikas — viele von ihnen zählen ohnehin zu den Ärmsten der Armen — werde das Wachstum des Bruttosozialprodukts in kommenden Jahren angesichts der Aids-Sterbezahlen im Schnitt um etwa 30 Prozent zurückgehen. Doch die weitgehenden sozialen Folgen von Aids „sind bereits jetzt offenkundig“, so der tansanische Arzt Eustace Luhondwa. Im Zentrum der Epidemie um den ostafrikanischen Viktoriasee wird bereits von einer Entvölkerung ganzer Landstriche gesprochen. Nach Berechnungen der US-Ärztin Antonia Novello werden noch vor dem Ende des Jahrzehnts mindestens zehn Millionen Waisenkinder (jünger als zehn Jahre) auf dem Kontinent leben. Dabei beginnt bereits die afrikanische Tradition der Stammessolidarität aufzubrechen. Aus Angst vor Ansteckung werden Waisenkinder, so ein Ugander unter den 800 Delegierten in Kinshasa, manchmal selbst von den nahen Verwandten aus der Gemeinschaft ausgestoßen.

Genaue Zahlen über die Ausbreitung von HIV gibt es bisher nicht. Einig waren sich die Experten in Kinshasa nur darüber, daß die offiziell gemeldeten Zahlen aus den Gesundheitsministerien nicht stimmen. In vielen Staaten werden die Toten und Kranken oftmals nur sehr unzureichend registriert. Nach Schätzungen sind etwa eine halbe Million Afrikaner seit Ausbruch der Epidemie an Aids erkrankt. Rund vier Millionen Infizierte werden vermutet.

Weltbank-Mitarbeiter Mead Over beklagte — auf die Ökonomie fixiert — quer über den Kontinent den Ausfall der „jungen Bourgeoisie“. Sie sollte den „Sprung nach vorn“ schaffen, den Weg in die Industrialisierung weisen und eine moderne Verwaltung aufbauen. Doch die 30- bis 40jährigen mit Schul- und Universitätsabschluß, in deren Ausbildung Staat und Familien große Hoffnungen investierten, fallen Aids genauso zum Opfer wie die armen Bauern auf dem Land: „Aids kennt keine Klassenschranken.“

Die erfolgreichen Männer im sexuell aktiven Alter glaubten jahrelang, sie würden verschont. Von Dakar bis Nairobi gaben sie sich der Illusion hin, Aids sei ausschließlich eine „Armutskrankeit“ wie andere Epidemien auch, die vornehmlich Billig-Prostituierte in den Slums und deren Kunden betrifft. Doch den gehobenen Schichten, so die im Grunde simple Erkenntnis der Konferenz, fällt der Abschied von dem in Afrika stark verankerten polygamen Sexualverhalten nicht weniger schwer.

Ein erster Schock war schon vor Jahren über den afrikanischen Kontinent gegangen als Sambias Staatschef Kenneth Kaunda nach langem Zögern öffentlich sagte, sein Sohn sei ein Opfer von Aids. Heute ist in den Krankenhäusern von Abidjan (Elfenbeinküste), Kinshasa (Zaire), Kampala (Uganda) und Lusaka (Sambia) Aids zur Haupttodesursache geworden. In Kigali (Ruanda) stieg der Anteil der Infizierten unter Schwangeren in den vergangenen zwei Jahren auf über 30 Prozent. In den Chefetagen und Ministerien in Abidjan und Bangui gilt es heute als böses Zeichen, wenn ein Mitarbeiter des öfteren wegen Krankheiten ausfällt — es könnte ein Vorbote von Aids sein. In vielen Staaten rächt sich jetzt aber, daß Aids lange tabuisiert worden war. Vor allem in Simbabwe und Sambia wurde viel zu spät reagiert, aber auch in anderen Ländern wurde wertvolle Zeit verloren.

Die Hoffnungen richten sich jetzt auf den medizinischen Durchbruch. Ungeachtet des Risikos setzen afrikanische Ärzte auf baldige Tests von Impfstoffen am lebenden Objekt. Ein Arzt aus Zaire berichtete über erste Vorversuche französischer Teams. Man will sogar soweit gehen, daß nichtinfizierte Personen geimpft werden, die dann mit einem promisken Risiko-Verhalten die Wirksamkeit der Impfungen beweisen sollen. Die ethische Fragwürdigkeit solcher Versuche wird beiseite gewischt: „Es gibt keine andere Möglichkeit.“ Aids-Fachleute aus Übersee dämpfen den afrikanischen Optimismus: Wegen der unterschiedlicher Struktur der Viren könnte es sein, daß ein amerikanischer oder europäischer Impfstoff in Afrika gar nicht wirke.

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