Tasten und Hören zwischen den Autos

■ Der „Tag des weißen Stocks“ in Bremen: Blinde über Verkehrsprobleme

“Rechtsherum geht es nicht, die Hecke hat sich zu breit gemacht. Also links herum und wieder über den Radweg. Plonk, signalisiert der Stock. Ein geparktes Auto. Seitwärts geht es ganz gut, das Auto ist sauber, stelle ich mit dem Handballen fest. Mein Mantel bleibt es also auch.“ Edeltraut Schmidt ist auf dem Weg zur Arbeit. Für sie gehört der Hindernislauf mit weißem langen Stock zu einem ganz normalen Tagesbeginn. Aber sie ist kein Einzelfall: 2.600 Blinde und Sehbehinderte gibt zur Zeit in Bremen.

Über die besondere Situation dieser Menschen im Straßenverkehr informierten gestern, am „Tag des weißen Stock“, der Blindenverein Bremen, der Verein Prisma und der Bremer Verein für Blinde auf dem Ostertorsteinweg.

Probleme haben Sehbehinderte genug. Zum Beispiel beim Überqueren der Straße. „Das ist für mich das Schwierigste“, sagt Anette Paul vom Verkehrsausschuß des Blindenverein Bremen, „wenn an den Ampelübergängen keine Summer angebracht sind. Dann muß ich immer extra jemanden bitten, mir zu helfen.“ Hier im Ostertor-Viertel gibt es zwar einige solcher Ampelanlagen, die Orientierungshilfen sind inmitten des brausenden Autoverkehrs, aber „man will ja auch mal woanders hingehen“. Ansonsten orientiert sie sich an Häuserwänden und Straßenverkehr, kann mit Hilfe der Motorengeräusche die Richtung halten.

Als Anette Paul vor zwei Jahren nach Bremen kam, hat sie zunächst 20 Stunden „Mobilitätstraining“ mitgemacht, um sich erst einmal „grob zurechtzufinden“. Sie lernte, Hindernisse wie Mauern oder Laternenpfähle zu „hören“, Körperschutztechniken und das Benutzen der öffentlichen Verkehrsmittel hier in der Stadt.

Eine andere Schwierigkeit ist die „Hochpflasterung“, wenn langsam die Bordsteinkanten verschwinden. Was für Rollstuhlfahrer ein Segen ist, bringt für Blinde Verunsicherung. „Dann kann ich nicht mehr unterscheiden, wo die Fahrbahn beginnt“, sagt Anette Paul. Hier sollte ihrer Meinung nach eine Markierung angebracht werden, etwa durch eine andere Oberfläche oder das Benutzen von unterschiedlichen Baumaterialien.

Nach dem Motto 'Ein kleiner Umweg ist oft sicherer– kommt Uwe Boysen, Richter am Bremer Landgericht, jeden Morgen an seinen Arbeitsplatz. Dort werden ihm die Aktenvorgänge auf Cassetten gelesen, die er dann abhört. Da er nicht glaubt, daß sich die Verkehrsituations auf der Domsheide in absehbarer Zeit ändert, hat er sich seine „eigene Technik“ ausgetüfftelt. Boysen geht in Schlangenlinien, um den vielen Bordsteinen, Schienen und Bus- bzw. Straßenbahnhaltestellen auszuweichen. Er ist praktisch von Geburt an blind, kann sich kaum noch an die Zeit bis zu seinem siebten Lebensjahr erinnern, als er noch etwas sehen konnte.

Auf den Straßen benutzt er eingefahrene Wege, um kein Risiko einzugehen. Was ihn besonders „nervt in den Bussen“ ist, wenn er als Objekt behandelt wird, plötzlich neben ihm eine Dikussion losgeht, über ihn. Zum Beispiel neulich, als zwei Typen sich stritten, wie ihm am besten zu helfen sei, ohne ihn zu fragen. Was er sich anders wünscht? „Es wäre natürlich toll, wenn ich bei der Ankunft jedes Busses wüßte welcher das ist“, sagt Boysen. „Wenn ich so einen kleinen Empfänger hätte, der die Information vom Sender des Fahrzeuges abfragen könnte.“

Weitere Forderungen der Bremer Blinden und Sehbehinderten sind, grundsätzlich alle Ampeln mit akustischen Signalen auszustatten, Bürgersteige und Radwege tastbar voneinander zu trennen, Bahnhöfe, Flugplätze, Bus- und Straßenbahnverkehrsknotenpunkte mit gerillten Bodenleitlinien zu versehenh und jegliche Beschriftungen im Straßenverkehr groß und kontrastreich zu gestalten. bz