: Gefangene wollen raus!
■ Knastkämpfe für Strafzeitverkürzung und Freilassung, aber auch gegen die Haftbedingungen — Zusammenstellung der wichtigsten Infos aus einem Packen Briefe.
In sehr vielen Knästen Westdeutschlands haben in den letzten zwei Wochen Protestaktionen stattgefunden, mit denen eine Generalamnestie oder Strafzeitverkürzung auch in westdeutschen Knästen durchgesetzt werden sollte. Dabei wurden aber auch vielfach die Forderungen aus den letzten Knastrevolten wieder aufgegriffen, wie Erfüllung des Strafvollzugsgesetzes, tarifgemäße Bezahlung, gegen Isolation und Verschlußvollzug, für mehr Aufschluß usw. Die Protestformen erstrecken sich vom Schreiben von Petitionen und Unterschriftensammeln bis zu massiven Zerstörungsaktionen. Insgesamt knüpfen die Aktionen für die Freilassung ihrer Form und ihrer Entschiedenheit nach, an die Knastrevolten aus dem Frühling und Sommer an.
Der Autonome Gefangenenrat Geldern, der sich aus der Revolte der Gefangenen heraus bildete, schreibt dazu: „Wir lassen uns nicht auf ein Abstellgleis schieben, wo die Institution Strafvollzug Zeit zu gewinnen versucht. Wir Gefangenen haben keine Zeit und fordern von den Politikern und den Verantwortlichen eine Entscheidung!
Solange diese Forderung nicht erfüllt ist, solange gibt es auch keine Ruhe und wir halten den Vulkan, die Knastrevolte am Brodeln, wir sind entschlossen, nicht mehr loszulassen!!!
Ausdrücklich distanzieren wir uns auch nicht von Gefangenen, die in der BRD für diese Forderungen mit Dachbesteigungen und anderen Aktionen kämpfen. Wir solidarisieren uns mit allen kämpfenden Gefangenen.
Wir senden Grüße an alle Knäste und fordern die Gefangenen auf, sich kollektiv an diesen Aktionen zu beteiligen und selbst Initiativen zu ergreifen, damit die Forderung auf Amnestie erfüllt wird.
Hinzuweisen ist vor allem darauf, daß wir Gefangenen in der BRD nur geschlossen was erreichen — und es ist unheimlich stark zu erfahren, daß Leute bereit sind, sich an diesem Fight zu beteiligen. Es vermittelt Stärke und zeigt, daß wir zusammen stark sind.
Feurige Grüße aus der rebellierenden Anstalt, Knast Geldern!“
In Geldern platzte eine für den 3.Oktober geplante Aktion durch Verrat. Zwei Gefangene kletterten dennoch für einige Stunden aufs Dach. Mehr als die Hälte der Insassen (ca. 250) verweigerten die Arbeit. Eine große, nicht genauer bekannte Zahl von Gefangenen traten in den Hungerstreik. Eine Petition mit 432 Unterschriften ging an den Bundestag. Die Gefangengen konnten durchsetzen, daß sie die Presse direkt informieren dürfen und daß Mitgefangene, die aufgrund der Proteste in den Bunker gekommen sind, wieder rauskamen.
Aus Rheinbach haben wir keine direkten Informationen. Nach Auskunft der Gelderner Gefangenen waren dort 30 Leute auf dem Dach. Die Nachrichten aus anderen Knästen wie zum Beispiel Rheinbach und Willich, lösten auch in Geldern jedesmal heftige Reaktionen aus: Krach, Müll und brennende Gegenstände auf den Knasthof usw.
In Willich verweigerten ca. 30 Leute, am 2.Oktober die Rückkehr vom Hof in ihre Zellen. Es kam zu einer kurzen Dachbesetzung. Hundert bis zweihundert Gefangene verweigerten das Anstaltsessen. Nach anderen Informationen sind auch einige Gefangene in den Hungerstreik getreten und andere haben die Arbeit niedergelegt.
Gefangene in Wittlich haben die Arbeit niederlegt, anscheinend nur als Einzelpersonen, die daraufhin isoliert worden sind. Einer der betroffenen schreibt: „Es ist ganz normal daß man uns, weil wir die ersten Arbeitsverweigerer waren, zur Abschreckung in Einzelhaft genommen hat... Ich persönlich kann nur hoffen, daß sich uns auch noch weitere Inhaftierte anschließen.... Die Einzelnen werden von der Behörde wahrscheinlich ausgelacht, aber die Gemeinschaft kann sie in die Knie zwingen.“
Aus dem Knast Essen ging eine von dreizehn Gefangenen unterzeichnete Petition an den Bundestag, in der Strafreduzierungen gefordert werden, und gleichzeitig die Freilassung kranker Gefangener, Aufhebung der Iso-Haft, Zusammenlegung aller Gefangenen, die das wollen, und Aufhebung der Trennscheibe.
In Celle haben 80 Gefangene am 2.0. eEinen Hungerstreik für Strafzeitverkürzung angefangen.
Hungerstreiks hat es auch in Detmold und Hannover gegeben.
Aus Hamburg-Fuhlsbüttel ist uns die Dachbesteigung von 10 Gefangenen und ein „Mahnfasten“ von 15 Leuten bekannt. Zu den Forderungen nach Strafzeitverkürzung und Freilassung wurde später noch die nach Streichung des Paragraph 218 hinzugenommen.
Aus dem Frauenknast in Köln-Ossendorf ging eine Petition von ca. 50 Frauen an den Bundeskanzler, in der sie fordern, mit einer Generalamnestie an der Wiedervereinigung und am Aufbau eines neuen Vaterlandes teilhaben zu können. Dieser Brief stammte vom 22.9. Eine Woche später stieg eine unbekannte Zahl von Frauen, unterstützt von allen anderen Insassinnen, auf das Dach des Ossendorfer Knastes, um gegen die Verkürzung der Umschlußzeiten zu protestieren.
In Mannheim kam es am 4.10. zu massiven Lärmaktionen und Sprechchören für eine Amnestie. Die Anstaltsleitung reagierte panisch und gab Innen- und Außenalarm und die Bullen zogen im Hof auf.
Gefangene aus Ravensburg kündigten an, am 10.10. mit einem unbegrenzten Hungerstreik anzufangen, und riefen dazu auf, sich auch in anderen Knästen zu beteilgigen und so dem Beispiel der Häftinge in der DDR zu folgen.
Im Knast Ravensburg sollte vom 3.10. Bis zum 6.10. ein dreitägiges Mahnfasten stattfinden. Eine entsprechende Erklärung ist von 88 Gefangenen unterzeichnet.
In Freiburg gab es eine Demo im Knast. Die Gefangenen sind mit einem Transparent im Hof rummarschiert und haben den Hofgang verlängert. Draußen gab es eine Kundgebung vor der Mauer.
In Stammheim sind 70 Gefangene für vier Stunden auf dem Hof geblieben und weitere 15 auf einem Dach. Gegenstände flogen aus den Fenstern.
Aus bayrischen Knästen gibt es überhaupt keine Informationen, außer das die „Gefangenengewerkschaft Solidarität“ zu Protesten und zum Mahnfasten aufruft. Sollte es gelungen sein, die rebellischen Gefangenen von Straubing ruhigzukriegen, oder heben sich die Leute ihre Kraft für die Kämpfe um die Haftbedingungen auf? J.H.
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