: Amerikas bestgehaßte Mörder
■ »The Honeymoon Killers« im Babylon West und im Broadway
Über den Briefklub der einsamen Herzen lernen sie sich kennen und lieben. Ihre Liebesgeschichte wird nicht vor einem romantischen Kamin enden, sondern auf dem elektrischen Stuhl. Sie ist eine Krankenschwester, er ein spanischer Einwanderer und Heiratsschwindler von Beruf. Eigentlich soll Martha nur eine weitere Kurzzeitehefrau in Rays Familienstammbuch werden. Doch dann beginnt die Liebe fürs Leben. Fortan ziehen sie gemeinsam durch das ödeste Amerika. Die Haltestellen ihrer Reise heißen New Jersey, Arkansas, Massachusetts, Long Island. Martha gibt sich als Rays Schwester aus, und er gibt ein Jawort nach dem nächsten. Ihre Opfer werden ausgeraubt und bei auftauchenden Schwierigkeiten gleich noch umgebracht. Hammer, Revolver oder Pillen leisten dabei wertvolle Hilfe. Endstation ihrer großen Amerikafahrt ist Sing-Sing.
Der Film basiert auf einem authentischen Fall. Als Martha Beck und Ray Fernandes 1949 geschnappt wurden, avancierten sie zu Amerikas bestgehaßten Mördern. Zwei Jahre später wurden sie hingerichtet. Vor Gericht faßte Ray Fernandes seine Arbeitsweise als Heiratsschwindler so zusammen: »Love 'em, clean 'em out, leave 'em«. Mit Martha an seiner Seite kam das »kill 'em« dazu. Wieso die Partnerschaftsdynamik zu Mord und Totschlag führte, wurde während der Gerichtsverhandlung nicht untersucht. Man interessierte sich noch nicht mal für die Zahl der Morde. Martha und Ray sollten so schnell wie möglich auf den elektrischen Stuhl geschafft werden.
»Am 8. März 1951, kurz vor Mitternacht, war es vorbei: Viermal flackerten in Zellen und Korridoren von Sing-Sing die Glühbirnen, als der Scharfrichter 2.250 Volt durch den 240 Pfund schweren Körper der 31jährigen Martha Beck jagte. Raymond Fernandes (37), ihr Liebhaber und »partner in crime«, war zwanzig Minuten eher exekutiert worden, angeblich aus Rücksicht auf seine labile Persönlichkeitsstruktur vor Martha. Ihr Antrag, gemeinsam hingerichtet zu werden (er auf ihrem Schoß sitzend), war von den Behörden abgewiesen worden.« (Ulrich von Berg).
Honeymoon Killers — das ist die große Liebesgeschichte des Kinos. Weder Love Story noch Reifeprüfung können da mithalten. Noch nicht mal Außer Atem, und Harold and Maude schon gar nicht. Martha und Ray lieben sich, bis der Starkstrom sie scheidet. Honeymoon Killers bringt Sex and Crime auf den Punkt. Liebe durch Verbrechen, Verbrechen durch Liebe. Fick- und Mordgelüste geilen sich gegenseitig auf. Nachdem der Kopf der 60jährigen Janet Fay mit dem Hammer zerschlagen ist, wird erstmal gevögelt. Der Blut- und Spermarausch der Flitterwochenmörder ist die gelungene Praktizierung der Freudschen Eros-und-Thanatos- Theorie.
Im Film wird die tödliche Partnerschaftsdynamik des Heiratsschwindlerpärchens auf das immanent widersprüchliche Arbeits- und Liebesverhältnis zurückgeführt. Heiratsschwindel als Existenzgrundlage bringt es notwendigerweise mit sich, daß Ray seinen auserkorenen Ehefrauen mindestens schön weh tun muß. Im Extremfall wird er auch nicht umhinkönnen, die Ehe zu vollziehen. Für Martha ist dieser Zustand eine permanente Bedrohung ihrer Liebe. Marthas Eifersucht wird ununterbrochen mobilisiert. Das unauflösliche Dilemma kann nur kurzzeitig per Mord und Totschlag aufgehoben werden. Dann stehen Martha und Ray vor der Tür der nächsten Ehefrau. Für die Auswahl der Opfer hat Regisseur Leonard Kastle kräftig im Schreckensarsenal des Kleinbürgertums gewühlt. Da ist einmal die Kleinstadtlehrerin, die ohne Frage ein wahres Folterinstrument für ihre Schüler sein muß. Dann die heruntergekommene Blondine, die sich immer noch für unwiderstehlich hält. Da ist die reiche und fromme Seele, die in der neuen Wohnung als allererstes zwei Heilandbilder an die Wand nagelt. Oder die patriotische Witwe, die statt Christusbildern amerikanische Flaggen über dem Kamin hängen hat. All die bedauernswerten einsamen Herzen sind unerträgliche Horrorgestalten aus dem richtigen Leben. Man wünscht ihnen die Pest an den Hals, und Martha und Ray erfüllen akkurat die blutrünstigen Wünsche. Tatsächlich sind die beiden (von einer Ausnahme abgesehen) die einzigen sympathischen Menschen im ganzen Film. Ihre Opfer sind nicht zu bedauern. Dralle
The Honeymoon Killers, USA 1970, 108 Min.; Regie: Leonard Kastle; Darsteller: Shirley Stoler, Tony LoBianco. Läuft im Babylon (OmU) und im Broadway (OmU). Weiterführende Literatur: Denis Brian: Murderers Die, New York 1986 (St. Martin's Press); Paul Buck: The Honeymoon Killers, London 1970 (Sphere Books); Max Pierre Schaeffer: Die teuflischen Paare, Berlin 1987 (Ullstein-Verlag).
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