: Ganz flexibel zwischen Zeitarbeit und Zeitarbeitlosigkeit
Wettbewerb der Verleihfirmen wird auf Kosten der Angestellten ausgetragen / Bundesverband und Schutzgemeinschaft wollen das Branchen-Image retten ■ Von Franziska Falke
„Viel Freiheit“ und „Unabhängigkeit“ durch die „modernste Form der Arbeit“ — mit solch ansprechenden Slogans werben die Unternehmen einer umstrittenen Branche um MitarbeiterInnen: die Zeitarbeitsfirmen. Während das Bundesarbeitsministerium wohlwollend urteilt, die Arbeitnehmerüberlassung leiste „einen, allerdings kleinen, Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit“, nennen Gewerkschafter diese Firmen schlichtweg „Sklavenhändler“. Doch die Verleihbranche wächst stetig. In den letzten fünf Jahren hat sich die Anzahl der Zeitarbeitsfirmen fast verdreifacht. Ende 1989 waren bei der Bundesanstalt für Arbeit 5.034 Firmen registriert. Im Schnitt beschäftigen die Unternehmen rund 100.000 Personen, vor allem Schlosser, Mechaniker und zugeordnete Berufsgruppen (29 Prozent), Hilfsarbeiter (16 Prozent) sowie Verwaltungs- und Bürokräfte (elf Prozent).
Der Wachstumstrend hält weiter an. In Nordrhein-Westfalen beantragten in diesem Jahr bereits über 400 Firmen den AüG-Schein (Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung). Der scharfe Wettbewerb in der Branche wird allerdings immer häufiger auf dem Rücken der LeiharbeitnehmerInnen ausgetragen. Volkmar S., Student aus Köln, bekam das am eigenen Leibe zu spüren: „Ich mußte riesengroße Markisen schleppen, nach zwei Tagen waren meine Schultern kaputt.“ Als er sich bei der Zeitarbeitsfirma über die Arbeitsbedingungen beschwerte, bekam er zur Antwort: „Stellen Sie sich nicht so an. Sie sind doch ein junger Mann.“ In vielen Zeitarbeitsfirmen wird für zehn Mark brutto in der Stunde Schwerstarbeit verlangt, Arbeitsschutzvorschriften werden nicht beachtet, Urlaub gibt es nicht, und im Krankheitsfall flattert die Kündigung ins Haus. Ein beliebter Trick ist auch, den Arbeitnehmer bei Vertragsabschluß bereits eine Blankokündigung unterschreiben zu lassen. Kann der Arbeitnehmer nach dem ersten Einsatz nicht direkt weiterverliehen werden, wird er zwischendurch gekündigt und für den nächsten Einsatz erneut eingestellt. Leerlauftage zwischen verschiedenen Arbeitseinsätzen werden somit nicht bezahlt.
Unseriöse Verleihfirmen nutzen die Angst vieler Arbeitnehmer vor Dauerarbeitslosigkeit schamlos aus. Gerd K., der vier Jahre für eine Kölner Zeitarbeitsfirma arbeitete: „Im Sommer hatte die Firma 200 Angestellte, im Winter wurde nur ein Stamm von 50 festgehalten, der Rest konnte marschieren. Per Einschreiben wurde uns gekündigt, nächsten Februar konnten wir dann wieder anfangen.“
Diese Praktiken sind jedoch rechtswidrig. Zeitarbeitsfirmen vermitteln keine Arbeit (das ist ein Monopol der Arbeitsämter), sondern verleihen Arbeitskräfte, d.h. sie müssen Arbeitgeberpflichten in vollem Umfang übernehmen. Der Arbeitnehmer erhält einen unbefristeten Arbeitsvertrag und ist Angestellter der Zeitarbeitsfirma, nicht des Unternehmens, an das er verliehen wird. Kann er nicht verliehen werden, hat der dennoch Anspruch auf Lohnfortzahlung. Zugelassen und geprüft werden die Zeitarbeitsfirmen von den jeweiligen Landesarbeitsämtern. Hat ein Unternehmen drei Jahre hintereinander den befristeten AüG-Schein erhalten, wird die unbefristete Erlaubnis erteilt.
„Die Praxis beweist, daß Mißtrauen gerechtfertigt ist“, warnt Bernd Döring, Leiter der Abteilung Überwachung von Zeitarbeitsfirmen am Landesarbeitsamt Düsseldorf. Kann die Firma bei schlechter Auftragslage ihre Arbeiter nicht verleihen, werden Kündigungsanlässe regelrecht erfunden. Die Erfahrungen des Arbeitsamtes bestätigen dies: „Notfalls bekommt der Leiharbeitnehmer Arbeitsangebote, die von der Entfernung her praktisch nicht zu realisieren sind. Verweigert sich der Arbeitnehmer, hat das die fristlose Kündigung zur Folge und häufig Einbehalt des Restlohnes.“
In Nordrhein-Westfalen verlieren jährlich ungefähr 30 Firmen nach Prüfungen durch das Amt ihre Zulassung. Dabei handelt es sich keineswegs nur um Firmen, die erst kurz im Geschäft sind, auch in alteingesessenen Firmen werden illegale Praktiken aufgedeckt. Damit die vielen schwarzen Schafe das Image der Branche nicht völlig ruinieren, wurde 1977 der Bundesverband Zeitarbeit (BZA) und 1987 die Schutzgemeinschaft Zeitarbeit gegründet. Mitgliedsfirmen dieser Verbände verpflichten sich, vorgeschriebene Mindestlöhne zu zahlen, tarifliche Urlaubsansprüche und Leistungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Fahrtkostenzuschüsse usw. vertraglich festzuschreiben. Die 87 Mitglieder der BZA verpflichten sich in einem Ehrencodex beispielsweise, den Arbeitnehmern Vergütungen und Sozialleistungen in Anlehnung an verbindliche Tarifverträge zu gewähren und in legal bestreikten Betrieben kein Zeitpersonal einzusetzen. Die Schutzgemeinschaft Zeitarbeit vergibt seit diesem Jahr sogar ein Gütesiegel an seine Mitglieder. Träger der Plakette müssen ihren Beschäftigten soziale Zusatzleistungen gewähren, mindestens 24 Urlaubstage pro Jahr zubilligen, Wegezeiten und Fahrtgeld vergüten und bei Kundenfirmen auf exakte Einhaltung von Sicherheitsbestimmungen achten. Zwar gibt es erste Ansätze, Licht in die dunkle Branche der Verleihfirmen zu bringen, aber wie unterschiedlich die Verträge von Zeitarbeitsfirmen aussehen, zeigt ein Vergleich von 15 Zeitarbeitsfirmen in Köln, die regelmäßig in Straßenbahnen und Zeitungen werben: Der Stundenlohn für eine einfache Bürokraft bewegt sich zwischen elf und 15 Mark — was einen monatlichen Einkommensunterschied von 600 Mark ausmacht. Bei einer Fremdsprachensekretärin schwankt der Monatslohn zwischen 2.600 und 4.300 Mark. Beim vertraglich festgelegten Jahresurlaub gibt es eine Variationsbreite zwischen 14 und 31 Tagen. Fahrtkostenerstattung, Urlaubs- und Weihnachtsgeld gewähren nur zwei Drittel dieser Firmen. Ein Vergleich verschiedener Zeitarbeitsfirmen und eine genaue Studie des Vertrages lohnt sich da auf jeden Fall.
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