: Wenn schon Deutsche, dann vom Roten Kreuz
■ Kurden protestieren gegen Stoltenbergs Pläne, bundesdeutsche Soldaten an die türkisch-irakische Grenze zu schicken
Istanbul (taz) — Kurdische Abgeordnete im türkischen Parlament und Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen in den kurdischen Gebieten der Türkei empörten sich über die Ankündigung von Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg, daß die Bundesrepublik auf türkische Bitte hin Soldaten an der türkisch-irakischen Grenze stationieren könne. In einem Interview mit dem US-Magazin 'Forbes‘ hatte der Minister ausgeführt, daß die Stationierung „kein Verfassungsproblem für Deutschland“ sei. „Wenn es einen Vorschlag gäbe, alliierte Truppen innerhalb der Nato-Struktur zu schicken, könnten wir sie in sehr kurzer Zeit bereitstellen“, sagte Stoltenberg. Die Türkei sei allerdings derzeit nicht daran interessiert.
„Dies ist nichts weiter als Unterstützung türkischer Aggressionen und Kriegstreiberei“ erklärte der Abgeordnete Ahmet Türk, der auf bundesdeutsche Leopardlieferungen aufmerksam machte, die in den kurdischen Gebieten eingesetzt werden. Er habe das Gefühl, daß Deutschland ebenfalls an einer „gewaltsamen Lösung der Kurdenfrage interessiert“ sei. In dem türkisch-irakischen Grenzgebiet, das als Statonierungsgebiet in Frage kommt, tobt seit Jahren ein Krieg zwischen der kurdischen Guerilla PKK und der türkischen Armee, die kurdische Autonomiebestrebungen mit Waffengewalt niederhalten will. Der Abgeordnete Türk gehört zu jenen ehemaligen Abgeordneten der „Sozialdemokratischen Volkspartei“, die wegen ihrer Teilnahme an einer internationalen Kurdenkonferenz in Paris aus der Partei ausgeschlossen wurden und nun als „Arbeitspartei des Volkes“ eine Fraktion im Abgeordnetenhaus bilden.
„Es gibt überhaupt keine Anzeichen dafür, daß der Irak die Türkei angreifen wird. Die westlichen Imperialisten wollen die Türkei in einen Krieg im Nahen Osten treiben. Der türkische Staatspräsident hat Appetit darauf. Doch ein Krieg im Nahen Osten führt nur zu einem Massaker am türkischen und kurdischen Volk. Das faschistische Saddam-Hussein-Regime darf nicht durch imperialistische Aggression, sondern muß durch den demokratischen Kampf der irakischen Völker gestürzt werden“, so der Istanbuler Parteivorsitzende, Osman Özcelik. „Nein zum Krieg“ lautet die landesweite Kampagne der Partei.
Auch der Vorsitzende des Menschenrechtsvereins Siirt, Zübeyir Aydar, und sein Kollege aus der kurdischen Stadt Diyarbakir, Hatip Dicle, bezeichneten die Ankündigung von Stoltenberg als „Kriegsprovokation“. Systematisch wurden in den vergangenen Monaten in dem Grenzgebiet kurdische Dörfer zwangsevakuiert und ganze Landstriche entvölkert. Das nun anstehende „Projekt der Militarisierung ist im Namen der Menschenrechte und der Demokratie eine Schande“, erklärten Aydar und Dicle.
Die Istanbuler Zeitschrift 'Ülke‘, die von prominenten kurdische Intellektuellen getragen wird und die trotz Pressezensur kommenden Freitag erstmalig erscheinen wird, hat der Äußerung Stoltenbergs breiten Raum gewidmet. Unbekannte kurdische Bauern kommen zu Wort. So heißt es unter anderem: „Die Berge sind ohnehin voll mit Soldaten. Wenn Deutschland etwas schicken will, dann Menschenrechtskomitees und das Rote Kreuz.“
Die türkische Regierung, von der bislang keine Stellungnahme zum Stoltenberg-Vorschlag vorliegt, zeigt sich jedoch unbeeindruckt. Staatspräsident Turgut Özal, der gern am Tisch sitzen möchte, wenn die irakische Beute verteilt wird, ist kooperativen militärischen Abenteuern nicht abgeneigt. Heute wird Nato-Generalsekretär Wörner in der türkischen Hauptstadt Ankara erwartet: Ganze vier Tage will Wörner in Ankara bleiben. Genug Zeit, um mit den türkischen Freunden die Strategiepläne des Bundesverteidigungsministers durchzuspielen. Ömer Erzeren
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