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Ein Plädoyer für die Chancen der kleinen Einheiten

■ taz-Samstags-Kolummne: Gerd Syben, Hochschullehrer und kritischer SPD'ler zur Diskussion um die Selbstständigkeit des Bundeslandes Bremen

Wann immer ich Artikel lese, in denen es um die Neugliederung der Bundesländer geht, ärgere ich mich. Nicht, weil da Leute andere Meinungen haben. Sondern weil diese so oberflächlich sind. Und weil sie die drei eigentlichen Probleme kaum berühren.

Erstes Problem: Scheinbar wissen alle, was Lebensfähigkeit eines Bundeslandes heißt, aber keiner fragt, wofür sie denn gut ist. Wenn diese Lebensfähigkeit durch das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben im Staatshaushalt definiert sein soll, dann wäre das im Falle Bremens ganz leicht herzustellen. Man brauchte nämlich nur den seit 20 Jahren andauernden Steuerexport auf ein vernünftiges, dem Umland und der Stadt gerecht werdendes Maß zurückzuschrauben. Dieser Steuerexport ist wie die gesamte Finanzausstattung Bremens eben kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis einer politischen Regelung. Die kann man ändern - wenn man will. Frage: Was will man ?

Einige wollen zum Beispiel statt „Kleinstaaterei“ einen großen Nordstaat, der effektiver und leistungsfähiger sei. Dieses Nachplappern von Wortblasen. Als ob nicht „Anti-Kleinstaaterei“ die Propagandaformel des ersten deutschen Nationalismus gewesen wäre. Als ob die zentralistische Effektivitätsideologie nicht längst durchschaut wäre, für die demokratische Beteiligung nur das unbeeinflußte Entscheiden in großen Linien behindert und Minderheitenschutz bestenfalls eine romantische Spielerei ist.

Diese Effektivität kann mir gestohlen bleiben. Nur mal so, als Beispiel: Ich fand es gut, daß in den letzten 10 Jahren kein Nordstaat mit seiner Effektivität in bremischen Schulen die Regelanfrage beim Verfassungsschutz einführen, Radio Bremen auf Regierungskurs bringen und die Polizei in Bremen mit Distanz-Waffen ausrüsten konnte. Ich fände es noch besser, wenn die Länder das Recht und das Geld bekämen, in ihren Asylrechtspraktiken Bundesstandards zu übertreffen.

Nach welchen Kriterien soll man also politische Einheiten schaffen, innerhalb deren die Menschen ohne Einwirkungsmöglichkeiten einer zentralen, übergeordneten Instanz ihre Angelegenheiten selbst entscheiden können? Obwohl manche da immer an mindestens zehn Millionen Einwohner denken: es gibt hier kein logisches Optimum. Oder will jemand etwa Luxemburg (etwa die Hälfte der bremischen Bevölkerungszahl) abschaffen ?. Es gibt nur historisch gewachsene Regionen. Regionen sind etwas anderes, als Nationalstaaten und ich wüßte manchen europäischen Nationalstaat, der sich trefflich in Regionen zerlegen ließe.

Erstes Fazit: Statt Länder mit einer Bevölkerungszahl schaffen zu wollen, denen man Lebensfähigkeit zutraut, sollte man sich lieber zutrauen, die historisch gewachsenen Regionen lebensfähig zu machen.

Nur: Ist denn Bremen eine so gewachsene Region ? Können nicht Regionen sich auch in unserer Zeit weiterentwickeln ? Mit welchem Recht will Bremen also allein eine Region bilden ? Das ist das zweite Problem. Die Antwort ist nämlich so einfach wie peinlich. So wie ökonomisch die Finanzkraft die Ursache der Selbständigkeit war, war politisch die Selbständigkeit die Ursache der Finanzkraft. Mit anderen Worten: Weil das Umland sein Geld nach Bremen getragen, Bremen diese Einnahmen aber immer schön für sich behalten und nicht mit dem Umland geteilt hat, war die Stadt über Jahrhunderte reich.

In kleinerem, gewissermaßen bremischen Maßstab ist dies das Grundverhältnis von Metropole und Umland; richtiger natürlich am Beispiel Paris, Wien oder London zu studieren. Ein Moloch, der das Land aussaugt und auf Kosten desselben blüht, dabei nicht verfehlend, es wegen seiner von ihm erzeugten Öde auch noch als „Provinz“ zu beschimpfen.

Da heißt es Farbe bekennen. Wer Bremen selbständig behalten will, darf nicht verhehlen, daß er einen Entwicklungsunterschied nicht nur zugunsten Bremens sondern auch zulasten des Umlandes will. Wer ein sogenanntes lebensfähiges großes Bundesland im Norden will, muß zugestehen, daß er Bremen auf dem Status von Kassel oder Oldenburg wiedersehen möchte. Denn soviel wäre klar: Wenn Bremen nicht mehr darüber entscheidet, wie seine Häfen oder seine Hochschulen ausgestattet sind, wird es für diese finster. Man erinnere sich nur des jahrelangen, am Ende nur mäßig erfolgreichen Kampfes der Universität Oldenburg gegen die Regierung in Hannover um eine vernünftige, weil lebensfähige (!) Fächerstruktur. Und zentrale Kultureinrichtungen wie städtebauliche Innovationen gäbe es in einem Nordstaat natürlich nicht in Bremen, sondern in Hamburg. Ich gestehe, daß ich das nicht will. Mein zweites Fazit: Ich bin für die Stadt als Lebensform.

Nun gemach. Diese argumentative Falle habe ich nicht für mich aufgestellt. Denn das ist das dritte und wie ich finde das eigentliche Problem: Wie hat denn Bremen in den vergangenen 40 Jahren seine Selbständigkeit genutzt, um sich als geistiges und kulturelles Zentrum in Norddeutschland zu etablieren ? Welche Impulse gehen heute von diesem Stadtstaat aus, die wichtig sind, auch für andere? Die bessere Möglichkeit, demokratische Beteiligung zu organisieren, ist ein gleichsam natürlicher Vorteil kleinerer Regionen und eines Stadtstaates zumal. Aber die Nagelprobe für die Berechtigung jeder selbständigen politischen Einheit ist, was sie daraus macht an Ausstrahlung über den eigenen Horizont hinaus.

Fazit am Schluß: Nicht geistige Autarkie ist gefragt, sondern eine aktive Rolle im Rahmen der internationalen kulturellen Arbeitsteilung.

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