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Die Hesse komme

■ Das „Badesalz-Duo“ mit Hessisch Commedy, um 21.05 Uhr, ARD

Der Schlachtruf der Rodgau Monotones „Erbarme, die Hesse komme“ bewies vor einigen Jahren Hitqualität — nicht nur im Rhein-Main-Gebiet, sondern von der Nordsee bis zu den Alpen spielte sich die alles andere als monotone Rockband aus Rodgau in die Hitparaden.

Doch wie es so ist, wenn der Ruf mit einem Megahit poliert wird — die großen Plattenfirmen meldeten sich, erwarteten fortan „Die Hesse komme“ — Teil 2 und folgende, und die Sache ging schief. Im Frühjahr 1991 planen die Hessen-Rocker eine letzte Abschiedstournee und dann soll Schluß sein mit der Rodgau Monotonie.

Dem gebabbelten Rap, den hemmungslos frankforderischen Rock- Songs muß das große Publikum aber nicht ein für allemal und endgültig entsagen — schon vor Jahren hat sich der Saxophonist und Sänger Henny Nachtsheim selbständig gemacht. Zusammen mit seinem Kollegen Gerd Knebel, dem ehemaligen Sänger der Rockband-Flatsch, hat er ein Kabarettduett gebildet, das schon lange als Geheimtip in und um Franfurt gilt: das „Badesalz-Duo“. Wo immer sie mit ihrem Super Dong Dong-Programm auftraten, bogen sich die Säle, vor Überfüllung und vor Lachen, so daß selbst die eher betuliche 'Faz‘ nicht umhin konnte, ein Himmelsereignis zu konzedieren: „Mit Knebel und Nachtsheim gehen zwei ganz eigenartige Sterne von ganz eigenartiger Leuchtkraft am Himmel des Blödelkabaretts auf.“

Komödiantische und kabarettistische Einlagen gehörten auch zum Konzept der beiden Bands, denen die beiden Badesalzer einst singend vorstanden — jetzt haben sie den Spieß umgedreht und servieren mit Och Joh Commedy mit einer Prise Rock'n Roll. Zur Begeisterung nicht nur von MTV-Enthusiasten: Zu den Höhepunkten der Badesalz-Show zählen Parodien von Videoclips, wie etwa der jüngsten Armuts-Schnulze „Another day in paradise“ von Phil Collins. Daß aus dem Refrain (Oh, think twice, it's another day you'll be in paradise“) dabei auf gut hessich „Oh, was'n Scheiß, schon Stunden unterwegs und kein Erdbeereis“ wird, ist noch eine der harmlosen Verunstaltungen, denen die bestußte Wirklichkeit in der Badesalz-Version unterzogen wird. In den rund hundert Sketchen und dramatischen Szenen, die das Duo selbst geschrieben hat, tauchen Knebel und Nachtsheim in allen denkbaren Verkleidungen auf — keine Charaktermaske des Alltags ist den beiden Verwandlungskünstlern zu entlegen, als daß sie nicht selbst in die Rolle schlüpfen würden. Und fast immer stimmt, neben der überraschenden Optik, der Ton — es ist nicht unbedingt die fette Pointe, sondern die Situationskomik, die zum Lachen reizt: die vibrierende Beknacktheit des Realen, die Banalität des Blöden im „ganz normalen“ Alltagsdialog. Das Badesalz-Duo mischt dabei nicht einfach den luftleeren Raum der puren Blödelei auf — das Böse lauert fast hinter jeder Ecke, nicht nur, wenn der Glatzkopf Gerd Knebel den bundesdeutschen Real-Fascho mimt, offenbart sich die Blödelklamotte als beinharte Satire.

Die naturtrübe Antwort der neunziger Jahre auf die ewige Äppelwoi- Seligkeit des Blauen Bock läuft heute (und an den kommenden vier Montagen) ab 21.05 Uhr im ersten Programm. Mathias Bröckers

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