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Merkwürdiger Schluß

Romanautor Paul Bowles ist mit Bernardo Bertoluccis Verfilmung von „Der Himmel über der Wüste“ überhaupt nicht zufrieden  ■ Von Stefan Dornuf

Die Liebesszenen gefielen ihm ganz und gar nicht. Er fand sie ,zu kalt‘.“ Genüßlich zieht der fast 80jährige an seiner Kif-Zigarette. Normaler Tabak ist ihm vom Arzt verboten worden — sofern er Wert darauf legt, sein Bein zu behalten. „Zu kalt? Was bedeutet das?“ Der weißhaarige Alte wirkt so zerbrechlich, daß man nie auf den Gedanken käme, ihn zu berühren. Er lächelt. „Woher zum Teufel soll ich das wissen? Ich hab' sie schließlich nur geschrieben.“

Tanger, ein Nachmittag im Juli. Paul Bowles, Kultfigur der gegenwärtigen US-Literatur, tut das, was er am besten kann: erzählen. Mit einem schlagfertigen Humor jedoch, den derjenige, der allein seine düsteren Prosafabeln von Krise und Zusammenbruch des modernen Zivilisationsmenschen kennt, nicht bei ihm vermuten würde. Allerdings fordert der Anlaß diesen Humor förmlich heraus: Die Zuneigung, die das Kino und dessen Macher seit jeher für Bowles' Bücher hegen, ist nämlich eine, die ihr Verfasser offenbar nicht erwidert.

Die Mesalliance begann schon 1954, mit Italiens Meisterregisseur Luchino Visconti. Visconti, von Bowles' Romandebüt The Sheltering Sky (1949) begeistert, verpflichtete ihn prompt für die Dialoge seiner leidenschaftlichen Revolutionsoper Senso. Die aber ermangelten, wie gesagt, so stark des Feuers, daß Kollege Tennessee Williams Hand anlegen mußte. Weniger amüsiert als von seiner einstigen „künstlerischen Impotenz“ zeigt sich Bowles von der Nachricht, daß Pedro Almodovar soeben eine Option auf Die Zeit der Freundschaft aufgenommen hat. Ist der Spanier nicht ein Komödienspezialist? Was will denn so einer ausgerechnet mit dieser Geschichte?

Und erst Bernardo Bertolucci. Seit dessen Ankündigung im Sommer 1988, als nächstes den Himmel über der Wüste zu verfilmen, rennen Journalisten aus aller Herren Länder dem amerikanischen Einsiedler in Tanger die Bude ein und stehlen ihm kostbare Stunden, die er besser für „seriöse“ Arbeit nutzen könnte. Nicht eine Zeile des Drehbuchs stammt übrigens, Gerüchten zum Trotz, von Bowles. Einspruch stand ihm ohnehin nie zu. Am meisten indes wurmt ihn, daß er an dem 20-Millionen-Dollar-Spektakel nicht mitverdient: William Morris, seine New Yorker Agentur, hatte sämtliche Filmrechte bereits Mitte der fünfziger Jahre verkauft — unbefristet. „Eine Verrücktheit, die heute undenkbar wäre“, seufzt der Dichter. 1964 erwarb Robert Aldrich das Projekt, konnte es jedoch damals in Hollywood nicht unterbringen und inszenierte, ausweichend, mit Der Flug des Phoenix seine eigene Sandschlacht. Aldrichs Sohn und Erbe Bill ist jetzt ausführender Produzent bei Bertolucci, der an den existentialistischen Autor eher zufällig gekommen war. Nach den endgültigen Scheitern seines Wunschtraumes nämlich, Dashiell Hammetts Thriller Bluternte für die Leinwand zu adaptieren, entsann sich Bertolucci eines Bändchens, das ihm vor nicht allzu langer Zeit sein Schwager zugesteckt hatte: Himmel über der Wüste, die gegenseitige Zermürbung eines Intellektuellenpaars auf der Suche nach emotionaler Nähe für Bertolucci um eine Verlegenheitslösung handelte, dokumentieren nicht zuletzt Umbesetzungen noch in letzter Minute: Ursprünglich waren William Hurt und Michelle Pfeiffer für die beiden Hauptrollen geplant. Und für die Musik sollte eigentlich Richard Horowitz, beraten von Bowles, zuständig sein; zwischendurch war von John Williams die Rede; nun prangt Sakamotos Name im Vorspann einer Fassung, die in ihrer klanglichen Konzeptionslosigkeit der dramaturgischen immerhin entspricht.

Welchen Eindruck er denn von „Signor Oscar“, dem mittlerweile hochdekorierten Bertolucci, habe? Bowles' blaue Augen blinken schelmisch: „Er ist ein großer tall Mann.“ Daß der Schriftsteller und sein filmischer Resteverwerter nicht sonderlich warmgeworden sind miteinander, belegte bereits Bowles' im Herbst 1989 in Frankreich publiziertes 'Journal Tangerois‘. Zu verschieden erscheinen die Temperamente, die hier zusammenprallen. Rätselhaft muß daher manchem der Gastauftritt vorkommen, mit dem Bowles den Film schmückt, indem er durch seinen Off-Kommentar genau die Gefühle beschwört, die man gern glaubhaft von den Akteuren präsentiert gesehen hätte.

Aber ein solches Befremden verkennt Bowles' hervorstechenden Charakterzug, die Höflichkeit, der eine profunde Gleichgültigkeit gegenüber der äußeren Welt zugrundeliegt. Nur so war es ihm auch möglich, über Monate hinweg die Anwesenheit eines Akademikers aus Bosten zu ertragen, der um jeden Preis seine Biographie zu Papier zu bringen gedachte. Als wiederholte Versuche, ihm das auszureden, nichts halfen, schaltete der Romancier innerlich einfach ab und ließ bloß seinen Körper im Zimmer: „Alles andere wäre Energievergeudung.“ Eine ähnlich Strategie mußte er später in Bezug auf das Filmteam entwickeln.

Bowles berichtet von der jüngst erfolgten Stippvisite Debra Wingers. Sie ist tatsächlich der Lichtblick des Films, sofern sie nicht gerade ihre nackte Haut zu Markte tragen muß — was immer dann passiert, wenn Bertolucci visuelle Phantasie auszudörren droht. Wenig angetan sind Bowles und seine Freunde von der Idee, die Eheleute im Angesicht der Unendlichkeit der Wüste kopulieren zu lassen. Statt dessen hätte Bowles, ungeachtet seiner homoerotischen Veranlagung, den Regisseur durchaus eines Besseren belehren können, was etwa die sexuellen Praktiken des Orients betrifft: Die wichtige Vergewaltigungsszene des Buches in einen Cunnilingus abzuändern, dürfte kaum dem arabischen (patriarchalischen) Geschmack entsprechen.

Aber natürlich ist Bowles ein zu förmlicher Mensch, um dem weiblichen Star mit Feinheiten zu behelligen. Außerdem mag er sie wirklich. Daß sie sich jedoch im „El Hafa“, Bowles' bevorzugtem Café an der Steilküste, eingefunden hatten und dort auf Bestellung gemeinsam geknipst wurden, war ein reiner Publicity-Coup: Bei laufendem Tonband gab Debby vor, sich mit ihrem Part dermaßen identifiziert zu haben, daß sie nicht mehr zurückkönne. Ein erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, daß die Diva erst in Algerien, als zwei Drittel der Dreharbeiten schon vorüber waren, den Roman überrascht zugeklappt hatte mit den Worten: „Merkwürdiger Schluß.“

Der hat Bertolucci denn auch gehörig zu schaffen gemacht — so sehr, daß er sich zwischen zwei alternativen Versionen nicht zu entscheiden vermochte. In der einen steuert die Heldin in einer Spiegelszene am Tisch von Bowles vorbei dem Ausgang der Bar zu und wird von seiner Frage gestoppt: „Haben Sie sich verirrt?“ Die Antwort. Ein knappes „Nein.“ Die andere Variante ist die offiziell in deutschen Kinos zu bestaunende. Ob Bertolucci zur Pariser Premiere im November noch mit einer dritten aufwarten wird? Bowles jedenfalls kümmert der Verbleib der Protagonistin im Film herzlich wenig: „Sie hätte in ein Bordell gehen sollen“, meint er trocken. Und inhaliert.

Bernardo Bertolucci: Der Himmel über der Wüste, nach dem gleichnamigen Roman von Paul Bowles, mit Debra Winger und John Malkowich, GB 1990, 142 Minuten.

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