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Hören und sehen lassen

■ Die Hörspieler von Radio Bremen gingen erstmals serienmäßig unter die Leute

Sie genierten und zierten sich noch etwas, die vier Hörspielregisseure von Radio Bremen, die am Mittwoch erstmals ihr Publikum zu gemeinsamem Hörspielhören und anschließendem Drüberreden in die Villa Ichon geladen hatten: In der Ecke des Kaminsaales drückten sie sich herum (da standen Wein und Aschenbecher) und schickten ihren Dramaturgen Rüdiger Kremer zur Begrüßung vor. Der Leiter der Hörspielabteilung, Dr. Jochen Schütt, saß derweil in Pullover und Turnschuhen im Publikum, ließ seine Buben machen und grinste gemütlich.

Ganz unfahrplanmäßig wollten die etwa fünzig Gäste dann gar nicht über das gehörte Stück „Total real“ (eine Farce über die Kontaktscheu der Menschen im nächsten Jahrtausend) reden, viel lieber wollten sie endlich mal hinter die Kulissen hören. Das Publikum, darunter auffallend viele ältere Damen mit modernem Kurzhaarschnitt und junge Männer mit Pagenkopf, machte den Hörspielmachern mit diesem Interesse eigentlich ziemliches Mißbehagen.

Wieso befindet sich unter den neun Tonangebenden keine Dramaturgin oder Regisseurin, wird Kremer gefragt. Naja, das Kinderhörspiel werde doch von einer Frau geleitet, windet er sich heraus. Und wie, bitte, wählt er unter den jährlich etwa 300 eingesandten Manuskripten die 18 aus, die dann realisiert werden? „Naja, da gibt es schon Kriterien“, druckst der Dramaturg, „ästhetische und dramaturgische; die lernt man, äh, im Hörsaal oder in einem Seminar.“ Ah ja?

Welchen Stand hat eigentlich das Hörspiel bei Radio Bremen? Immerhin wurde kürzlich ein Nachmittagstermin gekippt und bislang noch kein Ersatz dafür angeboten. Kremer nimmt augenblicklich Intendantenhaltung an: „Niemand will das Hörspiel abmurksen“, sagt er. Das Bremer Hörspiel habe zwar bundesweit den kleinsten Etat, doch, nun wird er heroisch, „es kann durchaus die Phantasie beflügeln, den Mangel zu verwalten“.

Das Hörspielpublikum liegt unter der statistischen Nachweisgrenze von drei Prozent, trotzdem wollen die Bremer MacherInnen sich nicht zu „szenischer Unterhaltung“ überreden lassen, nein, „radiophone Kunst“ sei ihr Produkt. So ist derzeit eine Hörspielserie im Gespräch, doch von sowas hält Kremer nicht viel.

„Aber so manches Hörspiel macht einem das Verstehen recht schwer mit rasantem Tempo und Science-Fiction-Gehabe“, wenden gleich zwei Frauen vorsichtig ein. „Das Hörspiel für alle gibt es nicht“, kommt es sofort aus der Ecke geschossen, wo sich die Regisseure mittlerweile zu einer Phalanx formiert haben, überempfindlich auf jedes kritische Tönchen reagierend. Trotzdem reden sie die Leute weiter mit einem vertraulichen „Ihr“ an — bloß keine klaffenden Klüfte! Die sehr alte Dame neben mir zieht sich an ihrem Stock empor, sie sei müde, tuschelt sie mir zu, hat sie doch schon den ganzen Nachmittag Bridge gespielt. „Und das hier lohnt nicht weiter.“

Die Hörspielbuben, sie trauen ihrem durchaus wohlwollenden Publikum noch nicht so ganz. Dabei sind das bloß überaus freundliche Menschen mit großen und geduldigen Lauschern. Glücklicherweise gibt es noch weitere Treffen, jeden letzten Mittwoch im Monat, das nächste am 21. November mit einem womöglich sogar provozierenden Hörspiel. Christine Holch

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