: Der alte Mann und die neue Demokratie
■ In zwei afrikanischen Einparteienstaaten finden morgen erstmals pluralistische Wahlen statt/ Die gewieften Diktatoren der Elfenbeinküste und Gabuns manipulieren den Pluralismus zu ihren Gunsten/ Oppositionelle rufen zum Wahlboykott auf
Berlin (taz) — Er ist 87 Jahre alt, vielleicht auch ein bißchen mehr, genau weiß es keiner zu sagen: Felix Houphouet-Boigny, Präsident der Elfenbeinküste. Seit der Unabhängigkeit vor dreißig Jahren regiert er sein Land, länger als jedes andere amtierende Staatsoberhaupt auf dem afrikanischen Kontinent. An diesem Sonntag stellt sich der Alleinherrscher zum ersten Mal einer Wahl, bei der ihm ein Gegenkandidat gegenübertritt. Die Demokratieproteste des Frühjahrs haben somit zu ersten konkreten Ergebnissen geführt.
Gegner des „Alten“ ist Laurent Gbagbo, Vorsitzender der „Ivorischen Patriotischen Front“ (FPI), der größten Oppositionspartei. Der 45jährige Geschichtsprofessor kehrte erst vor zwei Jahren aus dem französischen Exil zurück und macht sich große Hoffungen. Jedem, der es hören will, erzählt er, daß siebzig Prozent der Bevölkerung hinter ihm stehen. Vor allem unter den Kakaobauern, schwer von Rezession und Preisstürzen getroffen, sucht er nach Stimmen. Im Jahr 1989 fiel der staatlich festgesetzte Ankaufspreis für Kakao um die Hälfte, die Bauernschaft des Landes treibt seither dem Ruin entgegen. Doch wird Gbagbos Versprechen, mittels Kranken- und Rentenversicherungen das Leben der Kakaopflanzer zu verbessern, den Durchbruch bringen?
Mit einem Sieg Gbagbos rechnet keiner. Houphouet-Boigny, so die allgemeine Auffassung, will lediglich seiner siebten Amtsperiode — der letzten, wie er verspricht — einen demokratischen Anstrich geben. Der Wahlkampfauftakt des Präsidenten war furios. Houphouet-Boigny beschuldigte die Opposition, sie habe den Papst ermorden wollen, als er im September die Elfenbeinküste besuchte. Die Vorwürfe wurden nie bewiesen. Gbagbos Frau kam erst am Freitag vergangener Woche aus dem Gefängnis frei, die Regierung beherrscht die Medien fast völlig.
Gbagbos Alleingang stößt unter der übrigen Opposition auf Skepsis und Kritik. Der frühe Wahltermin, so beispielsweise die Sozialdemokraten, gibt weder Zeit zum Organisieren noch ist es möglich, die Wahlregister zu überarbeiten. Die „Partei der Arbeit“ (PIT) hat sogar zum Wahlboykott aufgerufen. Mit Streiks und Demonstrationen soll deutlich gemacht werden, daß die Bedingungen für freie Wahlen nicht existieren. Andere beklagen, daß die etwa vier Millionen Wanderarbeiter aus Burkina und Mali — ein Drittel der Bevölkerung — stimmberechtigt sind. Sie sind vielerorts in regierungsnahen Assoziationen organisiert, und die Regierung streut Gerüchte, daß im Falle eines Sieges der Opposition alle Ausländer ausgewiesen würden.
Houphouet-Boigny hat schnell gelernt, das als demokratische Errungenschaft gepriesene Mehrparteiensystem zu seinen Gunsten auszunutzen. Die FPI Laurent Gbagbos war die erste Partei, die sich nach der Legalisierung politischer Parteien am 30. April registrieren ließ. Inzwischen haben sich insgesamt 26 Parteien gebildet. Etwa 15 davon, so schätzen Journalisten, gibt es nur auf dem Papier. Die angegebenen Adressen stimmen oft nicht, Pressekonferenzen halten sie nicht ab. Der Verdacht der Demokratiebewegung: Houphouet-Boigny hat sie selbst ins Leben gerufen. Die regierende „Demokratische Partei der Elfenbeinküste“ (PDCI) erhielt zu ihrem Parteitag Anfang Oktober eine Grußadresse von nicht weniger als fünfzehn Parteien, die die Wiederwahl des Präsidenten unterstützen.
Möglicherweise hat sich Houphouet-Boigny an seinem Amtskollegen Omar Bongo, seit vierundzwanzig Jahren Alleinherrscher über das zentralafrikanische Gabun, ein Beispiel genommen. Dieser hatte noch vor Monaten gesagt: „Der Parteienpluralismus führt zur Krise.“ Bald darauf organisierte er freie Parlamentswahlen und versprach jeder teilnehmenden Organisation eine fette Wahlkampfunterstützung. Binnen kürzester Zeit waren in dem 1,2-Millionen-Einwohner-Staat nicht weniger als 37 Parteien registriert, manche lediglich, um sich die Staatsgelder abzuholen und ins Ausland zu verschwinden.
Die Wahlen in Gabun am 16. September gerieten zur Farce. Nach Protesten der Opposition entschied das Oberste Gericht in 52 Wahlkreisen auf Wahlmanipulation und setzte dort Neuwahlen für den 21. und 28.Oktober fest. Nach dem ersten Wahlgang am vergangenen Sonntag beklagte die größte Oppositionspartei, die „Bewegung für den nationalen Wiederaufstieg“ (Morena), erneute Wahlmanipulation und rief zum Boykott des zweiten Wahlganges auf, der morgen stattfinden soll.
Bongo braucht diese Art von „Demokratie“ kaum zu fürchten. Nicht nur gingen von 58 Wahlkreisen, in denen die Wahl vom September durch das Oberste Gericht bestätigt wurde, 36 an die Regierungspartei, sondern Bongo wird diesen Sonntag auch möglicherweise erleben können, wie Premierminister Casimir Oye-Mba seinen Wahlkreis verliert. Ein zukünftiger Rivale wäre damit ausgeschaltet. Der Präsident hat schon wissen lassen, er werde das Wahlergebnis „berücksichtigen“, wenn er seinen nächsten Premierminister ernennt.
Die Ernsthaftigkeit der demokratischen Wende in Gabun und der Elfenbeinküste wird nicht nur dort bezweifelt. Ganz Afrika wird den morgigen Wahlsonntag mit großer Aufmerksamkeit beobachten. Immer mehr Einparteienregimes bekehren sich zum Parteienpluralismus und kündigen Wahlen an — zuletzt die Volksrepublik Kongo, die Kapverden und Mosambik. Die Frage wird sich nun stellen, ob die Manipulation des Parteienpluralismus durch Diktatoren, wie sie an diesem Sonntag abzusehen ist, dem panafrikanischen Trend zu mehr Demokratie nicht einen fatalen Schlag versetzt. Dominic Johnson
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