piwik no script img

Die »Neue Synagoge« feiert heute Richtfest

■ Die Hauptkuppel ist fertiggestellt/ Bis 1995 soll die Synagoge in der Oranienburger Straße wieder ein Zentrum jüdischen Lebens in Berlin werden/ Ohne eine großzügige Aufnahme von sowjetischen Juden droht das Zentrum Museum zu bleiben

Mitte. Die Stiftung »Neue Synagoge Berlin — Centrum Judaicum« hat einen Grund zum Feiern. Heute wird das letzte Segment in die Hauptkuppel der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße (Bezirk Mitte) eingefügt und montiert. Mit einem kleinen Richtfest will man diesen Bauabschnitt würdigen, der Vorsitzende des wiedervereinigten Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, wird zu Bauleuten und Gästen sprechen.

Die Montage der Hauptkuppel und die orginalgetreue Rekonstruktion des Vorbaus sind allerdings nur der Anfang eines ehrgeizigen Restaurierungsprojektes. Mit Regierungsmitteln und Spenden aus aller Welt wird die Ruine in ein neues jüdisches Zentrum verwandelt — mit allem, was dazu gehört: einer kleineren Synagoge, einem Kulturzentrum und einem Museum. Im September 1991, so die Planungen, soll der an der Straße gelegene Vorbau einschließlich der drei Türme in seiner ursprünglichen Form wieder hergestellt sein. Und wenn die notwendigen Mittel nicht ausgehen, soll die Synagoge in der Oranienburger Straße ab 1995 wieder zum größten jüdischen Wahrzeichen im Herzen des wiedervereinigten Berlins werden.

Eine jüdische Wiedergeburt? Nicht ganz. Ohne eine großzügige Aufnahme der sowjetischen Juden in Berlin und ohne ihre gleichberechtigte Integration in Gesellschaft und Gemeinde droht das Wahrzeichen ein architektonisches und historisches Denkmal zu bleiben, geschützt von Landeskonservatoren und Museumsexperten. Nur durch die Einbürgerung tausender jüdischer Neubürger bestünde die Chance, daß die Synagoge wieder zu einem Ort lebendigen jüdischen Lebens wird. Denn: Für das religöse Leben der rund 8.000 Berliner Juden reichen die vier (und mit Adass Jisroel fünf) Synagogen aus.

Ohne die Hoffnung, daß Berlin wieder zu einem Impulse ausstrahlenden jüdischen Zentrum werden könnte, wäre es konsequenter, die Ruine als Mahnmal stehenzulassen und die 1966 von der Jüdischen Gemeinde Ostberlin angebrachte Gedenktafel aus dem Keller herauszuholen und etwas umformuliert wieder anzubringen. Dort stand nämlich zu lesen: »Diese Synagoge ist 100 Jahre alt und wurde am 9. November 1938 in der Kristallnacht von den Nazis in Brand gesteckt. Während des II. Weltkrieges 1939—1945 wurde sie im Jahre 1943 durch Bombenangriff zerstört. Die Vorderfront dieses Gotteshauses soll für alle Zeiten eine Stätte der Mahnung und Erinnerung bleiben. Vergeßt es nie«.

Erst als der damalige SED-Staatschef Erich Honecker 1988, mit Blick auf die Gedenkfeiern zum fünfzigsten Jahrestag der Novemberpogrome, den Vorschlag einer Stiftung für den Wiederaufbau machte, wurden das Schild abgeschraubt und Rekonstruktionspläne gewälzt. Eine Aktivierung des Judentums lag Honecker nicht am Herzen, sehr wohl war er aber, als Vorbereitung für den ersten Amerikabesuch, auf das Wohlwollen des einflußreichen amerikanischen Judentums angewiesen. Nur aus außenpolitischen Gründen wurde also begonnen, die Kuppel und den Vorbau der Neuen Synagoge wiederherzustellen.

Die weitgehend orginalgetreue Rekonstruktion hat natürlich seinen eigenen Wert — aber einen musealen, und den sollte man dann auch betonen. Alles andere wirkt befremdend, zumal in einer politischen Situation, in der die Juden hierzulande nicht mehr viel zu sagen haben. Der vergebliche Versuch der jüdischen Gemeinden, die besondere — sich durch die nationalsozialistischen Verbrechen verpflichtende Verantwortung der Deutschen — in die Präambel des Einigungsvertrages aufzunehmen und der faktische Einreisestopp für jüdische Emigranten aus der Sowjetunion zeigt die neue Einflußlosigkeit. Und diese politischen Niederlagen stehen im krassen Widerspruch zu der Bedeutung, die diese Neue Synagoge in Berlin einst inne hatte.

Die zwischen 1859 und 1866 gebaute, riesige und prächtig ausgestatte Synagoge war das architektonisch- steinerne Zeichen für die Emanzipation und finanzielle Leistungskraft der rund 18.000 Berliner Juden Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Gotteshäuser brauchten nicht mehr in Hinterhöfen versteckt zu werden, die Juden waren gleichberechtigt und gesellschaftlich anerkannt. Zur Einweihung am 5. September 1866 erschienen unzählige Fürsten, Grafen und viele einflußreiche Beamte des Kaisers. Von dieser, wie sie auch genannt wurde, »Liberalen Synagoge« gingen später die entscheidenden Impulse für die Reformierung des religösen Lebens aus.

Um 1925 war die Synagoge in der Oranienburger Straße zwar nur eine von zehn großen Synagogen in Berlin, sie blieb aber immer religöser und gesellschaftlicher Mittelpunkt der über 160.000 Berliner Juden. Sie war trotz aller Prachtentfaltung nie ein totes Museum. Und deshalb ist das Richtfest anläßlich der Wiederherstellung der Hauptkuppel der Neuen Synagoge ein trauriges Fest, höchstens Anlaß für ein Lob an die Bauarbeiter, die alles so schön wiederhingekriegt haben. Anita Kugler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen