Die heimlichen Insulaner

■ Diskussionsserie des »Potsdam Kolleg«: »Welche Hauptstadt braucht Berlin?«, Teil 3

Unter unseren Westberliner Stadt-Historikern ist die Hauptstadt- und Regierungssitz-Stimmung auf dem Nullpunkt angelangt. Ob sie es nun leid sind, das Thema immer wieder neu durchzukauen, oder ob es ihnen stinkt, aus den Lehren der Geschichte ständig Prognosen ziehen zu müssen, sei dahingestellt. Ein möglicher Grund für die Null-Bock-Hauptstadt-Haltung mag einfach sein, daß sie — berufsbedingt — lieber noch in der Vergangenheit bleiben wollen; mit Mauerzeit und Ruinensehnsucht heimlich im Kopf. Beim dritten Fragestundentreff in der Galerie Aedes gab Julius Posener mit seinem Statement: »Ich kann ohne Hauptstadt leben« die Stimmung der ehemals West-Stadthistoriker vor.

Etwas Zustimmung für den Sitz der Bundesregierung kam von der ehemals anderen Seite, aus Richtung der hauptstadtgeschädigten »Trans- Elbier«, wie Laurens Demps sagte. Denn, nimmt man die Argumente von Demps, dem Ostberliner Hitler- Höhlenforscher, Territorialhistoriker an der Humboldt-Universität und Schreiber lustiger Bücher à la: Mit Laurens Demps durch Alt-Berlin ernst, könnte die Berliner Stadtentwicklung regierungsmäßige »Impulse« gut gebrauchen. »Hauptstädtische Planungen mit der jüngeren Geschichte zu konfrontieren« und die Regierenden dem Regulativ der »Auseinandersetzungen auf der Straße« zu unterwerfen, sieht er als mögliche Chancen. Das politische Spannungsfeld der Geschichte kann an das Regierungsberlin Ansprüche herantragen, die in der »Bonner Idylle« komplett ignoriert werden. Und mit lehreichem Blick zurück auf die »Flucht der Reichsregierung nach Weimar« hoffte er, daß in der Zentrale der Macht in einer »unmittelbareren Weise« Einfluß genommen werden könne. Fazit: Es rettet uns kein höheres Wesen, es rettet uns die Hauptstadt!!

Berlin, so hielten ihm die drei Kontrahenten, der »Ur-Berliner« Julius Posener, der selbsternannte »Großstadterotiker« Fritz Neumeyer und der »Berlin-Mythiker« Goerd Peschken auf die Frage nach Modellen für die Hauptstadt eiskalt entgegen, interessiere sie im Augenblick regierungsmäßig überhaupt nicht. Die Stadtgeschichte, so machten die drei uniform kurzen Prozeß, sei, regierungsstädtisch gesehen, eingebunden in ungute herrische Traditionen: erst brandenburgische Residenz, später preußische Königsstadt, dann Kapitale des kaiserlichen Reiches. Zugleich hätte die Berliner Architektur unter Regierungsfunktionen nur gelitten. Auch stehe in dieser »Genealogie der Hauptstadtgedanken am Ende der Gedanke ‘Welthauptstadt Germania‚ wie Mitte der 30er Jahre«, wie Neumeyer folgerte. Diese fatale »Kontinuität« müsse bei den Hauptstadtdiskussionen als »Hintergrund gesehen werden«. Überhaupt, so fand der Stadterotiker, komme er in Berlin ganz gut ohne die neuen »Rituale« für die Hauptstadt aus, ist doch die kaputte Metropole (West) anziehend genug. Der »brüchige Stadtkörper«, so assoziierte er, verändere sich zwar durch die Geschichte, aber gerade die »häßlichen« Berliner Ruinen, das Transitäre und Fragmentarische der »Insel«, seien für ihn das Spezifische, das es sichtbar zu bewahren gilt. Hier, und nicht in der baulichen Typologie des 18. und 19. Jahrhunderts, liege die Chance des Anknüpfens für eine kommende Großstadt, die ihre jüngste Vergangenheit nicht hauptstädtisch zukleistert.

Auch Goerd Peschken findet »an Berlin nix hauptstädtisches«. Industrie, Kapital und Medien — die klassischen Faktoren, die eine moderne Kapitale konstituieren — fehlen hier ganz und seien zu Recht auf das Ruhrgebiet, Frankfurt und Hamburg verteilt. Selbst »unfähige« politische Beamte ließen sich nicht blicken. Statt dessen existiere nach wie vor in der Stadt als Anziehungskraft eine »Ruinensehnsucht«, deren Geschichte durch eine mögliche Neuplanung »nicht neutralisiert« werden dürfe, sondern durch Kunst, etwa durch Aufstellung des Stadtschlosses als Blechkiste, gebrochen weiterentwickelt werden müsse.

Den Architekturkollegen Juluis Posener geht das alles nichts mehr an. Eine Hauptstadt sei im Augenblick »das Letzte«, was ihn interessiere. Die guten Erfahrungen an die vierzig Jahre staatsregierungslose Großstadt sind Beweis genug, daß die Stadt auch »ohne auskommt«. Er fürchtet die »Hochstilisierung« der Stadt zum kommenden Regierungssitz. Früher, unter »Willusch«, so erinnerte sich Posener an die Kaiserzeit, bestand die Attraktion der Stadt ebenso wie in den 20er Jahren in ihrem pulsiernden Metropolencharakter und den revolutionären Planungen, nicht jedoch darin, daß sie Hauptstadt gewesen sei. »Wirkliche Regierungsstadt«, so warnte er, ist Berlin nur unter den Nazis gewesen, und dort nur als »artifizelles« Gebilde. Als Modell für Berlin und als Antwort auf Walter Momper gab er die weise Prognose: »Wir sollten doch glücklich sein, daß Berlin nicht Regierungssitz war.« Bleibt jedem seine halbe Stadt? Nichts bleibt, wie es ist! rola

Die weiteren Termine sind: 16.11.; 23.11. jeweils um 20 Uhr in der Galerie Aedes. Am 14.12 findet die Schlußrunde im Esplanade statt, auch um 20 Uhr.