piwik no script img

Lernunfähig

■ betr.: "Welch ein Jahr! Frauen-Fraktion Hamburg und Grünes Forum über die deutschen Perspektiven", taz vom 22.10.90

betr.: „Welch ein Jahr! Frauen- Fraktion Hamburg und Grünes Forum über die deutschen Perspektiven“, taz vom 22.10.90

Das Problem der Frauen-Fraktion und der GrüFos ist ihre Lernunfähigkeit. Der alte „Antikapitalismus“ sei gescheitert, so schreiben sie. Aber anstatt nun zu versuchen, neu zu begreifen, bleiben sie der nun endlich veralteten Blocklogik verhaftet: adieu socialisme, bonjour capitalisme! Ergreifen wir also „die emanzipativen Chancen im realen politischen System .. anstatt uns an abgehobenen Postulaten zu orientieren“.

Ist es ein „abgehobenes Postulat“, zu fordern, daß niemand mehr hungern soll — in dieser einen kapitalistischen Weltgesellschaft? Darauf zu bestehen, daß jedeR ein Recht auf Leben, ein Recht auf Entwicklung seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten, ein Recht auf Glück hat? Und ist es tatsächlich wieder nötig, daran erinnern zu müssen, daß es die alles andere als abstrakten, ganz konkreten gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensverhältnisse sind, die diese elementaren Menschenrechte — weltweit, und auch bei uns — kraß einschränken? Was sind das eigentlich für „Grüne“, die — den ökologischen Kollaps vor Augen — für eine Option im profitgesteuerten Industrialismus plädieren? Ihr Realismus ist absolut illusionär. Im Gegenteil: Ihr Utopieverbot unterschlägt die konkrete Utopie. Das „Unmögliche“ ist heute real möglich und nötig. Es zu fordern, ist das einzig Realistische. Es geht in der Tat um nicht weniger als eine Welt jenseits der kapitalistischen, nämlich eine Welt, in der — wann endlich wird man in Deutschland „Grüne und solche, die sich als Linke verstehen“, nicht mehr daran erinnern müssen! — Auschwitz nicht mehr möglich wäre. Dieses Ziel aber haben die GrüFos bei ihrem Weg in die real existierende Demokratie längst preisgegeben. Wolfram Stender, Hamburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen