piwik no script img

Todesstrafe durch die Hintertür

■ Politischer Gefangener in den USA ist totkrank aber weiter „haftfähig“

„Ich hoffe, daß der Angeklagte das Gefängnis nie mehr lebendig verlassen wird.“ Diese drastische Formulierung des Staatsanwaltes im Sommer 1985 im Prozeß gegen Alan Berkman, einen Arzt und politischen Gefangenen aus dem anti-imperialistischen Widerstand in den USA, droht zur Realität zu werden.

Alan Berkman war 1985 wegen „Unterstützung für den Aufbau einer illegalen Organisation und medizinischer Hilfeleistung für eine in der Illegalität lebende Person“ zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Schon während der Untersuchungshaft wurde bei ihm Hodgkins Disease, eine seltene Form von Lymphknotenkrebs, diagnostiziert. Die Bundesgefängnisbehörde verweigerte ihm monatelang jegliche medizinische Versorgung. Erst nach einer breiten Öffentlichkeitskampagne wurde er unter massiven Sicherheitsvorkehrungen operiert, und dann innerhalb kürzester Zeit in das berüchtigte Hochsicherheitsgefängnis in Marion, Illinois, verlegt. Die Haftbedingungen in Marion — 22 Stunden Totalisolation, Zensur, Besuche nur mit Trennscheibe, körperliche Mißhandlung der Gefangenen und bleiverseuchtes Trinkwasser — werden selbst von amnesty international öffentlich angeprangert.

Nach zwei Jahren in Marion wird Alan Berkman erneut angeklagt. Dieses Mal wird ihm — zusammen mit fünf anderen Gefangenen aus dem anti-imperialistischen Widerstand — vorgeworfen, eine „Verschwörung zum Widerstand“ geplant sowie mehrere Anschläge auf Regierungs- und Militäreinrichtungen Anfang der achtziger Jahre durchgeführt zu haben. Für dieses Verfahren, den sogenannten „Resistance Conspiracy Case“ (Verfahren wegen Verschwörung zum Widerstand) wird er im Mai 1988 nach Washington DC verlegt.

Zu den Aktionen, die in der Anklage aufgeführt werden — unter anderem einen Anschlag auf das US- Kapitol nach der US-Invasion von Grenada — hatten sich mehrere illegale Organisationen bekannt. Ihr Hauptziel war es, durch bewaffnete Propagandaaktionen eine militante Widerstandsbewegung gegen die US-Intervention in Mittelamerika und im Nahen Osten sowie gegen die rassistische Regierungspolitik in den USA selber zu mobilisieren. Inzwischen sind 25 Menschen im Zusammenhang mit den Aktionen oder wegen Mitgliedschaft und Unterstützung der Widerstandsstrukturen zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden. Das Resistance Conspiracy Verfahren gegen Alan Berkman, Susan Rosenberg, Laura Whitehorn, Linda Evans, Marilyn Buck und Tim Blunk wird momentan gerade abgeschlossen. In einem Abkommen mit der Staatsanwaltschaft haben sich Marilyn Buck, Linda Evans und Laura Whitehorn im Sinne der Anklage für „schuldig“ erklärt. Das Urteil gegen sie wird am 6. Dezember im Washington CD verkündet. Im Gegenzug hat die Staatsanwaltschaft die Anklage gegen Alan Berkman, Susan Rosenberg und Tim Blunk fallengelassen. Die Hauptmotivation für die Gefangenen, sich auf einen derartigen „deal“ einzulassen, den sie „politisch als problematisch“ ansehen, war Alan Berkmans erneute Erkrankung an Hodgkins Disease, die im April dieses Jahres festgestellt wurde.

Seine AnwältInnen hofften, daß er nach Aufhebung der Anklage innerhalb kürzester Zeit wegen Haftunfähigkeit entlassen werden würde. Nach den Bestimmungen der „Bewährungskommission“, die über die Entlassung von Gefangenen nach Absitzen ihrer Mindesthaftzeit entscheidet, hätte Alan Berkman seit 1987 entlassen werden müssen. Die Kommission weigert sich jedoch, ihn vor Ablauf seiner Maximalhaftstrafe im Jahr 1992 freizulassen. Die Kommission begründete ihre Entscheidung wiederholt mit der Tatsache, daß Alan Berkman sich weigert, Aussagen gegenüber dem FBI zu machen und weiterhin an seinen politischen Überzeugungen festhält.

Alan Berkmans Situation hat sich inzwischen lebensbedrohlich zugespitzt. Nach der Diagnose des Krebsrückfalls vergingen Monate, bis die Gefängnisbehörde aufgrund von öffentlichem Druck ihren Widerstand gegen eine minimalste medizinische Versorgung aufgab. Seit Juni 1990 erhält Alan Berkman eine sechsmonatige Chemotherapie im Allgemeinen Krankenhaus von Washington DC. Sein Status als „Sicherheitsrisiko“ führte dazu, daß Polizisten einer Sondereinheit mit Maschinenpistolen während einer Operation im Operationssaal postiert waren.

Die Nebenwirkungen der Chemotherapie — Gewichtsverlust, Muskellähmungen, plötzlich auftretende Lähmungen lebenswichtiger Organe — überfordern die medizinischen Versorgungsmöglichkeiten des Krankenhauses bei weitem. Das Allgemeine Krankenhaus in Washington DC ist ein klassisches Beispiel für die Gesundheitsversorgung der schwarzen, innerstädtischen Bevölkerung in den USA. Drastische Budgetkürzungen unter der Reagan- Administration, die jetzt unter Bush fortgesetzt werden, sorgen für chronische Überbelegung, schlecht bezahltes und unqualifiziertes Personal, und Ärzte, die zwar inzwischen bei der Versorgung von Schußverletzungen Weltniveau erreicht haben, anderen medizinischen Problemen aber hilflos gegenüberstehen.

Es ist momentan unsicher, ob Alan Berkman einen akuten Infektionsschub überleben wird. Darüber hinaus hat die Bewährungskommission im September entschieden, daß auch das Wiederauftreten von Hodgkins Disease — und die daraus resultierende Haftunfähigkeit — kein Grund für eine sofortige Freilassung sei. Die Gefängnisbehörde hat unterdessen angekündigt, Alan Berkman nach Ende der Behandlung in Washington DC in das Hochsicherheitsgefängnis von Marion zurückzuverlegen, da er weiterhin ein „Sicherheitsrisiko“ darstelle.

Die US-Regierung, die vehement die Existenz von politischen Gefangenen und des Vernichtungsprogramms gegen sie leugnet, versucht in diesem Fall offensichtlich die Todesstrafe durch die Hintertür durchzusetzen. AnwältInnen und UnterstützerInnen aus der wachsenden Bewegung für die politischen Gefangenen versuchen jetzt, durch eine erneute Öffentlichkeitskampagne noch einmal direkt Druck auf die Gefängnisbehörde, das Justizministerium und die Bewährungskommission auszuüben, um Alan Berkmans sofortige Freilassung zu erreichen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen