Dresdens stilles Giftlabor reagiert
Die Schadstoffbrühe auf der Trümmerbergdeponie entfaltet ein gefährliches Eigenleben/ Sachsen will keine Sondermüll-Provinz sein/ Drei neue Standorte werden gesucht — nur für eigenen Abfall ■ Aus Dresden Detlef Krell
Ein Eiterpickel ragt aus dem Dresdener Talkessel. Autowracks, ausgeweidete Fernseher, Hausmüll weisen den Weg zum Berg. Der Schlagbaum ist angeschweißt. Dahinter schlängelt sich eine Serpentine den Hang hinauf. Bald ist die Baumgrenze erreicht. Plötzlich fällt der Weg steil ab zu einem tintigen Tümpel. In der stinkenden schwarzen Brühe schwimmt ein Trabant. Der Berg, nach dem Krieg aufgeschüttet aus den Trümmern des alten Dresden, ist das stille Giftlabor der Stadt. Was in seinem Inneren alles miteinander reagiert, weiß der Teufel.
Für Eva Jähnigen aus der Abfall- Gruppe der Grünen Liga ist dieses Plateau wie ein zweiter Arbeitsplatz: Seit 1974 wurde die Trümmerhalde auf dem Heidesand als Schadstoffdeponie betrieben, bis endlich im Februar 1990 eine BürgerInneninitiative und die Umweltinspektion die Schließung durchsetzen konnten. Jahr für Jahr wurden um die 10.000 Tonnen Giftbrühe durch die Betriebe der Region in die vier Sickerbeete auf dem Plateau verkippt. Einzige „Abdichtung“ der Beete ist das über den Trümmern zusammengeschobene Erdreich, das wie ein Filter wirkt. Vor zwei Jahren platzte die Eiterblase an mehreren Stellen, und heraus trat ein farbenfrohes Gemisch aus Galvanikschlamm, Arzneimittelresten, Bitumen, Ölen, Fetten. Die „Väter“ der Stadt und des Bezirkes verfügten eine „vorläufige Schließung“ und reichten „Ausnahmegenehmigungen“ nach für etwa 30 Betriebe. Eva Jähnigen holt eine Kopie aus ihrem Archiv: Bezirksfürst Witteck drohte damals dem Stadtfürsten Berghofer mit Produktionsstillstand von Betrieben und verlangte nach einem „Provisorium“, das durch eine „den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Variante“ zu ersetzen sei, falls tatsächlich „im Grundwasser keine aus den Sickergruben stammenden Verunreinigungen festgestellt werden“.
Der Sarkasmus bleibt der jungen Frau im Halse stecken, denn inzwischen haben Recherchen der Grünen Liga und Untersuchungen des Umweltinstitutes Baden-Württemberg ergeben, daß Chlorkohlenwasserstoffe, Phenole, Aromate und Schwermetalle auf dem Weg zum Grundwasser oder schon dort angekommen sind. Im September kam endlich ein Beschluß des Dresdner Stadtparlaments zustande, diesen schleichenden Umweltskandal durch Sanierung der Deponie Hammerweg zu beenden. Das Bundesumweltministerium stellt dafür 80 Millionen Mark zur Verfügung. „Es heißt, daß die Betriebe jetzt ihren Giftmüll selbst lagern“, sagt Eva Jähnigen mit gehöriger Skepsis.
Der erst neulich bekanntgewordene Skandal im Dresdner Betrieb Metallaufbereitung scheint ihr Recht zu geben. Seit August hat von dort aus die niedersächsische Recycling- Firma „Enef“ tonnenweise hochgiftige Reste fotochemischer Fixierbäder in die städtische Kanalisation gekippt. Enef hatte die Fixierbäder in Dresden und Cottbus gesammelt, zu Hause entsilbert — eine pekuniäre Versilberung — und den Rest wieder nach Dresden gebracht. Das Bezirkskriminalamt spricht von 50.000 Litern monatlich.
Dr. Manfred Wölke, Leiter der Umweltinspektion der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden, hält Sondermülldeponien in Sachsen für unumgänglich. Jedoch müssen sie in das Abfallrahmengesetz des Landes passen, das jeglichen Giftmüllimport untersagen sollte. Mit einer Anschubfinanzierung von 40 Millionen Mark aus dem Töpfer-Haushalt werden gegenwärtig durch die Deutsche Projektionsunion Gutachten für drei Standorte sächsischer Sondermülldeponien erstellt. Agroconsulting Dresden und das Institut für Kommunalwirtschaft beteiligen sich. Ein Zwischenbericht liegt bereits vor. Eine Flächennutzungskonzeption mit Priorität des Naturschutzes steht noch aus sowie die Berücksichtigung der Transportströme zwischen Deponien und Betrieben.
Landesabfallgesetz und die Politik des künftigen sächsischen Umweltministeriums sollen nach Auffassung von Dr. Wölke privaten Firmen nicht die Möglichkeit geben, die Refinanzierung der Investitionen durch Müllimporte zu betreiben. „Sachsen braucht nur soviel Abfallverwertungsanlagen, wie wir selbst entsorgen müssen, und keine mehr. Natürlich sind wir nicht gegen Investoren, die uns helfen, den eigenen Müll zu entsorgen.“ Dr. Wölke ist zuversichtlich, daß Umweltschutz, Umwelttechnik und die zu gründenden Deponien in Sachsen Arbeitsplätze schaffen werden. Ein Weg bestände darin, marode Unternehmen, wie die Wismut oder die NVA, durch die eigenen Beschäftigten ökologisch zu sanieren. Allein für die Region Dresden hätten mehr als 100 Öko-Betriebe Investitionsinteresse angemeldet.