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Madonna aus dem Bunker

Fernsehen im Libanon: Krieg tobt nicht nur in den Straßen sondern auch im Äther Sendeanstalten verfeindeter Milizen sind Ziel von Bombenangriffen Schmähungen des Gegners, Spielfilme und Rockkonzerte als Hauptprogramm  ■ Von Achim Vogt

Der Beitrag, der da in der Reihe World Report des amerikanischen Fernsehsenders CNN in die Wohnstuben flimmert, ähnelt eher einem Rap-Video als einer TV-Reportage. In den amerikanischen Hintergrund- Standard von anderthalb Minuten gepreßt, versucht der libanesische Reporter John Bassil sich an dem Kunststück, die Entmachtung von Christengeneral Michel Aoun zu analysieren. Während er das textlich unter Vermeidung jeglicher Atempause so gerade schafft, verliert er die Kontrolle über die Bilder: Immer schneller folgt Schnitt auf Schnitt, ein rasendes Stakkato sich abwechselnder Bilder eines bleichen Generals und explodierender Geschosse. Es scheint, als wolle der Bericht mit den zu schlimmsten Bürgerkriegsphasen im Sekundenabstand niedergehenden Bomben mithalten.

Der CNN-Moderator hat gar nicht erst versucht, seinen Zuschauern zu erklären, aus welcher politischen Richtung der Bericht gekommen ist. Lediglich vom „libanesischen LBC-Fernsehen“ ist die Rede. Das klingt offiziell und läßt den Betrachter in dem Glauben, seriöse Informationen geliefert zu bekommen. Aber das Bemühen, nicht nur das Chaos des Libanon, sondern auch noch das des Fernsehens zu entwirren, wäre innerhalb von einsdreißig ja ohnehin aussichtlos.

Das Porträt des geschlagenen Generals

Dabei hätte die Erklärung, daß es sich bei der Lebanese Broadcasting Corporation, kurz LBC, um den Sender der Christenmiliz „Forces Libanaises“ handelt, das Porträt des geschlagenen Generals in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Schließlich hatte Aoun im Frühjahr vier Monate lang versucht, die Miliz unter seine Knute zu zwingen. Über tausend Tote, Hunderttausende geflüchteter Christen und ein in die Milliarden gehender Schaden waren die Folgen des Gemetzels.

Das Gebäude, aus dem die LBC ihre Sicht der libanesischen Lage ausstrahlt, steht in Jounieh, einem einstmals verschlafenen Hafenstädtchen nördlich von Beirut, das sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr zur christlichen Ersatzhauptstadt gemausert hat. Sandsackbarrikaden sollen die Sendezentrale vor Beschuß schützen — angesichts der Umstände eine durchaus sinnvolle Vorsichtsmaßnahme. Längst nämlich hat sich zum Krieg der Kanonen der Krieg in und um den Äther gesellt.

Fernsehsender als militärisches Ziel

Abend für Abend bombardierten sich Aoun und sein Gegenspieler Samir Geagea während der Gefechte im Frühjahr über ihre Haussender mit übelsten Beschimpfungen. Der Krieg, das haben auch die libanesischen Warlords längst begriffen, wird nicht zuletzt im Fernsehen entschieden. Kaum verwunderlich, daß die Sendeanstalten zu den wichtigsten militärischen Zielen derjüngsten Auseinandersetzungen gehörten. Während Geageas LBC noch halbwegs glimpflich davongekommen ist, gleicht die Sendezentrale von Aouns Tele Liban einem Trümmerhaufen. Deutlich sichtbar auf einem Hügel im Ostbeiruter Vorort Hazmieh gelegen, boten die Anlagen ein ideales Angriffsziel für Geagea ebenso wie für die Syrer, gegen die der rebellische General im vergangenen Jahr einen mörderischen „Befreiungskrieg“ vom Zaun gebrochen hatte.

Die Redaktion von Tele Liban, besser bekannt als Channel 5, arbeitete in zwei umgerüsteten Apartment-Hochhäusern in Ost-Beirut, nahe der innerchristlichen Frontlinie. „Ich glaube nicht, daß Sie sich vorstellen können, unter welchen Umständen wir hier Sendungen gemacht haben“, erzählt Tele Liban- Direktor Alfred Barakat wenige Tage, bevor sein Sender im Zuge der Entmachtung von General Aoun verstummt. Eine Notbesetzung von 60 Mitarbeitern aß, schlief und produzierte damals im unterirdischen Bunker mindestens 24 Stunden lang, bevor — vielleicht — die Ablösung kam. Ein Fahrer riskierte mehrmals am Tag Kopf und Kragen, um die Cassetten zum Sendezentrum in Hazmieh zu bringen. „Irgendwie haben wir es geschafft, jeden Tag auf Sendung zu sein“, sagt Barakat, als könne er es selbst gar nicht glauben.

Mit Unterhaltung vom Krieg ablenken

Und wofür das alles? Nein, wehrt Barakat ab, man habe wenig politische Wendungen gemacht und auch Tips, welche Straßen gerade wieder einmal nicht befahrbar seien, habe man eher dem Radio überlassen: „Wir haben vor allem versucht, die Leute mit Unterhaltung vom Krieg abzulenken.“ Eine visuelle Beruhigungspille wurde täglich produziert, mit der sich nicht zuletzt die Soldaten und Milizionäre und womöglich gar die TV-Mitarbeiter selbst betäubten. „Das Madonna-Konzert in Barcelona haben wir zwei Wochen vor LBC übertragen“, verkündete Elie Yahchouchi, der Produktionsleiter, triumphierend einen wichtigen Schlag gegen den medialen Erzrivalen.

Als hätte der Libanon nicht genügend eigene Intrigen und Machtkämpfe zu bieten, schmieden J.R. und seine Konkurrenten vom Denver-Clan auf libanesische Mattscheiben gemeine Ränke. Falcon Crest und Miami Vice für die Großen fehlen ebenso wenig wie Heidi und die Sesamstraße für die Kleinen. Das arabische Element bedienen die unvermeidlichen ägyptischen Schnulzen, der Libanon zeichnet — der Wirklichkeit zum Trotz — für eine Komödie im Programm von Tele Liban verantwortlich. Und selbstverständlich darf die wöchentliche Bundesliga-Sendung, geliefert vom deutschen öffentlich-rechtlichen Film-Exporteur „Transtel“ nicht fehlen.

Politik per Spielfilm

Die große Politik, das erschließt sich dem fremden Betrachter erst auf den zweiten Blick, wird im libanesischen Fernsehen ebenfalls per Spielfilm ausgetragen. Noch am offensichtlichsten ist die Auswahl eindeutiger Titel. Who's the Boss lief bei LBC unmittelbar vor der Entmachtung General Aouns durch syrische und moslemisch-libanesische Truppen, die von der Christenmiliz stillschweigend gebilligt worden war. Auch die Entschlossenheit, mit der die Angreifer zu Werke gingen, ließ sich vorher absehen: „No mercy“, mit Richard Gere und Kim Basinger in den Hauptrollen, war eine deutliche Warnung an Aouns Anhänger.

Weit subtiler dagegen wirkten die allabendlichen Weltkriegsdramen, die Ende des vergangenen Jahres eine kurze Blütezeit in den rivalisierenden Christensendern hatten. Während Channel 5 Filme sendete, in denen Angriffe und Siege der Briten gegen die Deutschen thematisiert wurden, glorifizierten die LBC-Movies Verteidigung und Widerstand der von den Deutschen angegriffenen Engländer. Die wachsenden politischen Spannungen unter Libanons Christenführern, die ein paar Wochen später zum „Bruderkrieg“ eskalierten, hätten kaum besser beschrieben werden können: General Aoun war auch nach seiner Niederlage entschlossen, den Kampf um die „Befreiung“ Libanons von syrischer Besatzung fortzusetzen. Samir Geagea dagegen kam es lediglich darauf an, die Christenenklave gegen einen Angriff zu schützen.

Was aus einem eitlen General wird

Im moslemischen Westen Beiruts residiert ebenfalls Tele Liban. Der Sender nimmt für sich in Anspruch, die offizielle libanesische Fernsehstation zu sein. Immerhin kann Tele Liban-West — zur besseren Unterscheidung von den Kollegen im Ostteil nur Channel 7 genannt — darauf verweisen, daß die Sendeanlagen tatsächlich im Gebäude des ehemaligen staatlichen Fernsehsenders stehen. Aber auch hier sind die Produzenten längst in die Fänge machtlüsterner Milizen geraten, das Programm unterscheidet sich inhaltlich wenig von dem im Osten Beiruts. Lediglich der Anteil arabischsprachiger Sendungen ist höher als in den Christensendern, deren Klientel sich noch immer als Bindeglied zwischen Orient und Okzident versteht und häufig lieber französisch als arabisch spricht.

Neben den drei großen Sendern tummeln sich mehrere kleinere Anstalten ebenso im libanesischen Fernsehnetz wie diejenigen der angrenzenden Staaten Syrien und Israel. Zu den denkwürdigsten Stationen gehört das Middle East Television (METV), das aus der von Israel kontrollierten südlibanesischen „Sicherheitszone“ heraus sendet. Es gehört dem fundamentalistischen amerikanischen Prediger Pat Robertson, der in den USA das Christian Broadcasting Network (CBN) betreibt.

Manchmal haben die libanesischen Fernsehanstalten regelrecht prophetische Gaben: In dem Streifen Khartum, den LBC Ende vergangenen Jahres zeigte, spielt Charlton Heston einen General, der von den islamischen Truppen des Mahdi getötet wird. Die Zuschauer sollten erkennen, so die unzweideutige Botschaft, was aus einem eitlen General wird, der es mit einer gut ausgerüsteten arabischen Armee aufnehmen will.

Filme mit Verbrüderungsszenen waren dagegen bislang im libanesischen Fernsehen selten zu sehen.

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