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„Vom Rande her...“

■ Klaus Briegleb zu Leo Löwenthal

Leo Löwenthal, Exilant aus Nazi- Deutschland, Mitarbeiter des Frankfurter Instituts für Sozialforschung und marxistisch inspirierter Literaturwissenschaftler, wird heute 90 Jahre alt. Am 18.Oktober vergangenen Jahres erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Hamburg. Wir drucken die Lobrede Klaus Brieglebs in Auszügen.

Lieber Leo Löwenthal, die Laudatio, die Ihnen zur Verleihung des Adorno-Preises der Stadt Frankfurt in der Stätte des deutsch

en Liberalismus, der Paulskirche, gehalten wurde, überließ es der politischen Neigung der Zuhörenden, den geschichtlichen Grundtext im Stillen mitzudenken, der zu Ihren Arbeiten und zur Verankerung dieser Arbeiten im oppositionellen Empirismus des Instituts für Sozialforschung einfach dazu gehört. Kein Wort über nationalsozialistische Ausgrenzungsgewalt und ihre Folgen bis in unsere Tage.

Von historischen Konstellationen, wenigstens andeutungsweise, ist aber zu sprechen, wenn wir Leo Löwenthal würdigen wollen, von Konstellationen, die uns vor Augen führen, wer und was sich im Augenblick freigesetzter Exilierungshandlungen, 1933 und später, gegenübersteht.

Die Nazi-Faschisten haben weder die deutsche Literaturwissenschaft noch die deutsche Soziologie gleichschalten müssen, denn die Mehrzahl der renommierten Vertreter beider Fächer haben ihre Methoden und Mythen als „Deutschwissenschaft“ und „Volksgemeinschaftslehre“ in die „nationale Bewegung“ noch vor ihrem Machtantritt eingebracht. Nur die Legende will, die Soziologie sei von Nazis abgelehnt und unterdrückt worden. Und die ideologische, „vorgeschichtliche“ Kraft der Literaturwissenschaften, insbesondere der Germanistik, war es, der schließlich vollstreckten staatlichen Ausgrenzung selbstorganisiert vorgearbeitet zu haben, so daß sie ihre bereits abgeklärt politische Funktionsbereitschaft dem neuen Staat anbieten konnten.

Akademische Ausgrenzung ist sowenig abstrakt wie die staatliche; sie greift nach dem individuellen Leben. Hier eine Momentaufnahme, die diesen Sachverhalt vor Augen führt. Leo Löwenthal ist seit 1926 zugleich im höheren Schuldienst und als freier Mitarbeiter für das Frankfurter Institut für Sozialforschung tätig. Die Lehramtsprüfung hatte ihm u.a. Hans Naumann, der Altgermanist, abgenommen. Noch von der Universitätszeit her war Naumann Löwenthal „menschlich“ zugetan. Auf dem Münchner Germanistentag 1929 treffen beide in einem noch leeren Hörsaal zusammen. Es kommt zu einer aggressiven Demütigungsgeste des deutschen Professors gegen seinen jüdischen Schüler. Auf diesem Verbandstag der Hans Naumann und Co. ist das alte alldeutsche Konzept einer „geistgeborenen“ Mutterspracheinheit in die neudeutsche Programmatik der europäischen ost- südost-Einverleibung überschrieben worden; eine Voraussetzung dafür, die Trennung von „völkischer“ und „jüdischer“ Literaturwissenschaft, ist im privaten manifestiert, wird wenig später in den offiziellen Nationaldiskurs eingefügt werden und ist schon jetzt nichts anderes als Vorleistung zur ideologisch-staatlichen Komplizenschaft bei der NS-Ostraumplanung, vorgedachte Vernichtungspolitik.

1930 wird Löwenthal festangestellter Mitarbeiter des „Instituts“, in dem er u.a. die redaktionelle Vorbereitung der 'Zeitschrift für Sozialforschung‘ übernimmt. Ihr erstes Heft (1./2., 1932) enthält u.a. seinen berühmt gewordenen Aufsatz über die gesellschaftliche Lage der Literatur. Ein Entwurf, mit dem er, sagt Löwenthal, der etablierten Literaturwissenschaft den Fehdehandschuh hingeworfen habe. Rede niemand angesichts dieser Kampfmetapher von einer bloß persönlichen Reaktion auf die Brüskierung von München. Wir fassen hier einen anderen Punkt in der Konstellation der Krisenjahre vor 1933, nämlich die Überkreuzung des zur kritischen Reformulierung antstehenden theoretischen Marxismus mit der akuten Gesellschaftsentwicklung, Überkreuzung von „Wissenschaft und Krise“, wie Horkheimer diesen Punkt bezeichnete. Es gehe jetzt um die Einholung aktuell-empirischer Forschungsarbeit in die Sozialtheorie.

1929 hatte Löwenthal dem Institut Erich Fromm zugeführt, der soeben mit Untersuchungen zu den sozialpsychologischen Voraussetzungen der Arbeiter und Angestellten, den Kampf gegen Hitler führen zu können, begonnen hatte; Untersuchungen, die von Horkheimer nun ins Programm des Instituts aufgenommen wurden. Löwenthal wird nicht müde darauf hinzuweisen, daß diese konkreten Mentalitätsanalysen einen entscheidenden Vorsprung der Kritischen Theorie vor jenen Faschismustheorien mitbegründet haben, die in größerer Nähe zu den Arbeiterparteien formuliert wurden. Es ist dies der beklemmende, akut-prognostische Wert der Untersuchungsergebnisse auf einer Forschungslinie, die später in den USA mit dem berühmten Projekt zum autoritären Charakter fortentwickelt worden ist. Schon Fromm hatte herausgefunden, wie groß gerade auch bei den Anhängern und Wählern der Arbeiterparteien die Diskrepanz war „zwischen den bewußten Überzeugungen und den tieferliegenden Persönlichkeitsstrukturen“. Dies bestätigte sich bei einer Untersuchung 1931 im Rheinland und in Westfalen, die das autoritäre Syndrom der spezifisch sozialdemokratischen Wählergruppen anzeigte. Die Prognose war, daß der Nationalsozialismus keinen wesentlichen sozialen Widerstand erfahren werde, und man bereitete sich im Institut auf die Emigration vor.

In dieser Situation, im ersten Heft der 'Zeitschrift‘, verfaßten Löwenthal und die anderen (Horkheimer, Marcuse, Pollock, Adorno, Fromm) ihr Arbeitsmanifest. Der Literatursoziologe entwirft am Material seiner ausgedehnten Frühstudien zur erzählenden deutschen und europäischen Literatur ein Forschungsprogramm, das gegen den vorherrschenden aber unausgewiesenen Begriff vom gleichen Geist in Volk und Kunst auf der ästhetischen Differenz beharrtund die sozialgeschichtliche Erklärbarkeit der Literatur als Kunst plausibel macht. Der Aufsatz ist, wie gleichzeitig Walter Benjamins Literaturgeschichte und Literaturwissenschaft (1931), gegen eine prominente Sammlung germanischer Grundsatzartikel geschrieben, die Emil Ermatinger unter dem Titel Philosophie der Literaturwissenschaft 1930 herausgebracht hatte. Dort herrschte, so Benjamin, der Söldnerdienst der Literarhistorie im Kleinkrieg der gesellschaftlichen Krisenbewältigung; eine, so Löwenthal, sich selberausweglose Abwehrhaltung der Germanistik gegen das rationale Prinzip einer intervenierenden Literaturtheorie, die dem Fach seinen Anteil am nationalideologischen Irrationalismus aufweisen könnte. Solche kritische Standortbestimmung setzte „eine enfaltete Theorie der Geschichte und der Gesellschaft voraus“ (Löwenthal); sie erarbeitet zu haben, war man sich im Frankfurter Institut gewiß.

Diese Gewißheit war das selbstbestimmte Moment einer Exilierung, die es den zurückgebliebenen Ideologen der Ausgrenzung erlaubte zu glauben, sie hätten nichts zu schaffen mit der Gewalt, die gegen das leibliche Sein der Ausgegrenzten nun eingeleitet wurde. Das ist notorisch. Die Sprache am Übergang vom Gedanken zur Tat, die Sprache der Gewalt gegen Bücher, ist bei solcher Konstellation dann immer schon fertig. Hören wir als einen Zeugen der spezifischen Konstellation 1933 noch einmal Hans Naumann, wie er in Bonn das Signal zur Verbrennung u.a. jener Bücher gibt, die zu den Hauptquellen der Kritischen Theorie gehören: Marx, Freud, ...:

Als das, vielstimmig, erklang, war das Institut bereits in Genf; Löwenthal hatte die Emigration organisiert; drei Tage, bevor die SA das Institut besetzte, am 2.März 1933, verließ er als letztes der Mitglieder das Haus und Frankfurt.

Leo Löwenthal verweist bis heute darauf, daß die Theorie der Gesellschaft und des bürgerlichen Individuums in der Moderne „vom Rande her“ gedacht werden müsse; er verwendet das Wort Exil für diese Ortsbestimmung: Die Kritische Theorie an ihrem Ursprung in den Krisenjahren der ersten deutschen Republik hat einen Standort gewählt, von dem aus „das Schicksal des Individuums in der modernen Gesellschaft unter der Perspektive seiner Bedrohung“ studiert werden muß. Leo Löwenthal drückt das heute so aus:

Im Exil schreibt Löwenthal seine großen, in Deutschland heute erst ins allgemeinere kritische Geschichtsbewußtsein dringenden Manifeste über den Zustand der bürgerlichen Massenseele an der Schwelle zu ihrer schließlich angemessenen Spiegelung im NS-Volksmythos des 20.Jahrhunderts, an dem die „Biosoziologie“ mit ihren „Umvolkungs“- Thesen und die „Deutschwissenschaft“ mit ihrer Politisierung der deutschen „Volkswerdung“ bauen. Dem gegengestellt wird die Entblößung des diesem Mythos eingeschriebenen autoritären Charaktersyndroms: Härteerwartung und Brutalitätsbereitschaft, Konfliktunfähigkeit und Fremdenhaß, Deklassierungsängste und Sehnsucht nach einem Führer usw. 1934 entstehen die beiden spektakulären Studien zu Dostojewski und Hamsun. In der ersten u.a. der Nachweis — mit einem schrecklichen Zitatbeispiel von Hans Naumann —, daß in der deutschen Rezeption Dostojewskis die Loyalitätsbasis für den Krieg gen Osten bereits artikuliert ist. In der zweiten die Antwort des Ideologiekritikers auf Alfred Rosenbergs Ernennung des Knut Hamsun zum NS- Helden-Sänger und die Analyse der Voraussetzungen dazu, daß es zu dieser Gefolgschaft kommen mußte, anhand des 1890 erschienenen Romans Hunger. In der Folge dann die großen Essays zur europäischen Literatur seit Cervantes, darunter klassische Stücke wie die wunderschön renaissance-geschichtliche Studie zu Shakespeares Sturm. Auch mit diesen Beiträgen ist Löwenthal mitten im Arbeitsprogramm der exilierten Forschungsgruppe; er entwickelt die Frankfurter politische Psychologie des Autoritarismus weiter an ästhetischem Material, von dem der exilierte Gesellschaftsanalytiker nicht ausgesperrt werden kann. Das Bild des Menschen in der Literatur: Spiegel der Zuspitzungsgeschichte seiner Bedrohung überhaupt.

Denn „Exil“ bedeutet für den Literaturwissenschaftler eben nicht nur, die kühle sozialkritische „Nachricht“ über die auch literarästhetisch vermittelten Faschismusdispositionen der Massenkultur in die „Flaschenpost“ der Kritischen Theorie zu geben und so zu wissen, daß dies eine konkrete Form des Kämpfens außer Landes ist, sondern Exil bedeutet auch: erneute Isolierung dieser Arbeit in der kulturellen Selbstverständigung des antifaschistischen Literatur-Exils. Dort dominierte die Illusion, das „andere Deutschland“ werde, in die zeitlosen Wertvorstellungen der bürgerlichen Ästhetik verpackt oder dem auch ästhetischen Überlegenheitsmythos des revolutionären Proletariats überantwortet, in bessere Zeiten hinüber gerettet werden können; beide Glaubensrichtungen waren der unparteilichen Destruktivität des Löwenthalschen ideologiekritischen Arbeitsprogramms fremd; in summa: Exil bedeutete, die wissenschaftliche Disziplin der kämpfenden Ideologiekritik muß sich auf den funktionellen Verbrauch ästhetischer Wirkungen in der Massenkultur einlassen und ist in der Trauer darüber allein gelassen, daß die Dialektik der bürgerlichen Kunst, nämlich in der Entgegensetzung zur schlechten Endlichkeit der gesellschaftlichen Welt an der Utopie der „Versöhnung“ festzuhalten, in der Masse nicht verfängt, schon gar nicht im Prozeß ihrer Faschisierung; so deutlich auch in ihm jene Utopie eine Glaubenssache noch ist. Auch in ihm, dem Prozeß der Massenfaschisierung, so Löwenthal in der Hamsun-Studie, ist jene Dialektik nicht stillgelegt, bleibt eine Phantasie im Kurs, „die darauf gerichtet ist, daß die Erde wirklich die Heimat der Menschen werde“. Wird diese Erbschaft der ästhetischen Dialektik dem Individuum am Ende der NS- Epoche noch gehören? Als Löwenthal 1944 die ersten Zeugnisse aus den Vernichtungslagern in den Händen hält, ist die Frage an die Erbschaft dieser Zeit vorerst beantwortet (Individuum und Terror, 1945).

An „Exil“ als Ursprungsphänomen der Kritischen Theorie ist noch eine andere Eigenschaft ihrer praktischen Stellung geknüpft. Man könnte sie bei oberflächlicher Betrachtung „interdisziplinäre“ Arbeitsweise nennen, wenn nicht Löwenthal zum faktischen Inhalt dieses Begriffes ausdrücklich auf Distanz gegangen wäre: Die Selbständigkeit der Fächer im institutionalisierten Wissenschaftsbetrieb der modernen Universität bleibe unangetastet, wenn sie nur „gewisse Techniken erfinden, durch die sie eine Bekanntschaft miteinander schließen“. In den Krisenjahren 1929 ff. haben die Frühfrankfurter (unter Anleitung Horkheimers) eine bessere Organisationsform für ihre verteilte Zuständigkeit gefunden. Eine Form, die den Bedingungen der „Kritischen Theorie im Exil“ angemessen, ihr aber je individuell auch eine besondere Anstrengung des Begriffs und ungewöhnliche Solidaritätsenergien abverlangte. Es gehört zu den Ruhmestiteln Leo Löwenthals, das Konzept der Verwandlung der Literaturwissenschaft in eine Hilfswissenschaft der Kritischen Theorie uneinholbar, d.h. klassisch ausgearbeitet zu haben. Er hat das Empirieangebot auf der Basis der Krisenstudien zum autoritären Charakter in den Jahren 1929/31 ins Feld der Idol- und Propagandaforschung, der Agitationsanalyse, der Vorurteils— und Antisemitismusthesen in die späteren dreißiger, die Kriegs- und Nachkriegsjahre getragen; bis zur Remigration des Instituts nach Frankfurt 1949 in der Gruppe wirkend wie das verkörperte und verkörpernde Prinzip der Arbeitssolidarität des Anfangs.

Löwenthals Arbeitsmotiv, eine permanent radikale Sozialkritik auch in ästhetischer Erfahrung wachzuhalten und das subjektive Verlangen nach Schönheit in einer gerechten Welt den beängstigenden Resultaten dieser Kritik wahrhaftig auszusetzen, hatte auf den neuen Stufen des akademischen Sozialkonformismus in unseren Fächern keine Chance der Einnistung. Auch in diesen Fächern ist der besiegte antifaschistische Widerstand der Geheim-Code eines geängstigten akademischen Selbstbewußtseins geworden. Die abgedrängte Angst davor, sich als Hilfswissenschaft einer nachfaschistisch- neugedachten Kritischen Theorie der Gesellschaft verstehen zu sollen, wurde zuerst in restaurativ-ständische Sozialabschottung verschoben, später, infolge des Ereignisses „1968“, in ritualisierte Beschwörungen der einzelwissenschaftlichen Sozialrelevanz. Auf beiden Stufen Sozialanpassung, keine trendprägende Durcharbeitung des sogenannten Sündenfalls 1933; und selten ein subjektiv „reflektiertes Selbstverhältnis“ (Tugendhat) nach Auschwitz: darauf aber wäre eine Neuorganisation unserer sozialwissenschaftlichen Verfahrensweisen zu bauen gewesen. Statt dessen allenthalben das Kontinuum einzelwissenschaftlich reinstitutionalisierter Gewißheiten. Auf dieser Entwicklungslinie ist folgendes konsequent, auch in unseren Fächern: regelhaft keine Berufungen oder Rückrufe exilierter Wissenschaftler nach 1945, im Revolteklima 1968 die akademische Durchsetzung einer historisch unreflektierten Methodenmodernisierung, Gegenstandserweiterungen abgeschottet gegen die exilierte Tradition einer oppositionellen Empirie, trotz des Anfangsbündnisses der Revolte mit der frühen und mittleren Kritischen Theorie. Adornos und Horkheimers Tod und die Nicht-Rezeption ihrer Spätschriften besiegeln die Entaktualisierung der Kritischen Theorie in Revolte und Postrevolte.

In dieser Situation kommt es zu einer erneuten historischenGegenstellung Löwenthals zur Trendwissenschaft, nun zur Neu-Etablierung der Literatursoziologie in der Studentenrevolte: Der menschliche Dialog. Perspektiven zur Kommunikation, drittes Heft der 'Kölner Zeitschrift‘, 1969. Der Text ist ein wahrlich kunstsoziologisches Resümee der großen historischen Ableitungen, in die Löwenthal seine empirisch-analytische Theorie der modernen Massenkommunikation eingebettet hat; eine Wendung zugleich gegen die neuen Gewißheiten im Umkreis der spätidealistischen Kommunikationskonzepte. Unüberhörbar heute, aber den Zeitgenossen unerhört gelieben der politische Affront aus der Argumentationsquelle der kritischen Theorie! Die Modernisierung der intellektuellen Wahrnehmung und Gestaltungsaufgaben setzte eine Entwicklung fort, die Löwenthal in den Studien zur großen europäischen Literatur seit der Renaissance als Geschichte des bürgerlichen Individuums im Zeichen seinerBedrohung durch eine total werdende Sozialkontrolle beschrieben hat; setzte diese Entwicklung fort bis zur tödlichen Krise des überlebenden Subjekts, das, so die häufige Formel, in der „Entfremdung vom Objekt“ sich verlieren wird. Die Kunst, die diesen geschichtlichen Prozeß der Entfremdung manifestiert, sei zugleich die „Kultivation des Gedächtnisses“, das als der Prüfstein seiner Individualität zu gelten habe, die kreativ an oppositioneller Sozialkommunikation partizipiert.

In Frageform gebracht:

Was geschieht eigentlich, wenn das wahre Ich, diese edle Entdeckung idealistischer Philosophie, romantischer Dichtung und des kapitalistischen Geistes, sich mehr und mehr in die Mechanismen der Konformität und das engmaschige Netz der institutionellen und psychologischen Kontrolle verstrickt?

Hierauf keine ideologischen Antworten zu geben, bedeutet in letzter geschichtlicher Konsequenz, die auch Benjamin ausgesprochen hatte: Unterbrechung der Geschichtsphilosophie durch eine „objektrettende“ Sprachtheorie.

„Sprache hat qua Sprache an der geheiligten Dignität des menschlichen Wesens festzuhalten“, und dies sei „das essentielle Verdikt [...] gegen den Verfall der Sprache als Abstellraum der menschlichen Kommunikation“. Was für Sätze, in das instrumentalisierte Debattenklima 1968 hineingesprochen! Löwenthal, im Buch der Berkeley-Revolte selber kein unbeschriebenes Blatt, durchkreuzt die Sprachen der Revolte und Gegenrevolte mit biblischem Wortverständnis, das die zugleich aufgegebene positive Dialektik der Kunst an die ruhige Souveränität in der Negation des Bestehenden zurückbindet. „Die Bedeutung des Geheiligten in der Sprache ist paradox“, sagt Löwenthal; „natürlich“, denn es wird an sprachlicher „Massenzirkulation“ erinnert, in ihr „mitteninne“ hat die Sprache der Kunst ihr Exil, dort macht sie „den Zusammenbruch der Kommunikation zum Objekt ihrer Kommunikation“. Das Paradox der jüdisch-bliblischen Sprachtheorie als Einnistung Kritischer Theorie in der Massenkommunikation heißt, in äußerster Spannung zwischen entmachteter Wortmagie und herrschender Instrumentalisierung der Sprache Philologe zu sein.

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