piwik no script img

„Nur eine Frage der Prozentsätze“

■ Friedrich-Wilhelm Graefe zu Bahringdorf über die Gatt-Politik der Bundesregierung INTERVIEW

Der westfälische Öko-Bauer und Abgeordnete des Europa-Parlamentes wird als Kandidat für den Posten des brandenburgischen Landwirtschaftsministers gehandelt.

taz: Was hält der zukünftige Landwirtschaftsminister Brandenburgs von Kiechles Gatt-Blockadepolitik?

Friedrich Wilhelm Graefe zu Bahringdorf: Ich bin nicht Landwirtschaftsminister in Brandenburg.

In Brüssel geht man davon aus, daß Sie es werden.

Ich gehe davon aus, daß das Bündnis 90 das Landwirtschaftsressort nicht erhält.

Was hält dann der Noch-Abgeordnete von Kiechles Boykottpolitik gegenüber dem Versuch der EG-Kommission, die Agrarsubventionen um 30 Prozent zu reduzieren?

Kiechle macht im Grunde keine Boykottpolitik. Er versucht lediglich, die Entscheidung bis über den Wahltermin hinaus zu verschieben.

Wie ist es dann zu erklären, daß sich die Freihändler der ganzen Welt über Kiechles Verhalten beklagen?

Das ist politische Taktik, damit er sagen kann, ich bin in Luxemburg überstimmt worden, ich habe aber Ausgleichsmaßnahmen durchgesetzt. Er hat auch vor ein paar Jahren der automatischen EG-Preissenkungspolitik vor allem im Getreidebereich zugestimmt und dafür dann Flächenstillegungsprogramme durchgesetzt. Dies sollte sowohl umweltfreundlich sein als auch die Überschüsse in der landwirtschaftlichen Produktion verringern. Resultat dieser Politik ist jedoch Überproduktion und eine Aufteilung des Landes in Landschaftsschutz- und Landschaftsschmutzgebiete.

85 Prozent der EG-Subventionen gehen in die Lagerhaltung, zu den Im- und Exporteuren, oder sie bleiben in der Agrarverwaltung hängen. Könnte man nicht den größten Teil der Agrarsubventionen sofort streichen, ohne die Bauern zu schädigen?

Die Grünen sind dafür, daß die Exportsubventionen gestrichen werden. Wir wollen, daß sich die Produktion an dem Bedarf in Europa orientiert. Wir wollen grundsätzlich aus dem Agrarexport aussteigen und insgesamt zu einer umweltschonenderen Landwirtschaft kommen. Gegenüber den billigen US-Produkten brauchen wir jedoch weiterhin einen Importschutz. Die EG-Kommission müßte dazu eine offensive Strategie verfolgen, unsere im Vergleich zu den USA noch ökologischere Produktion vor der umwelt- und sozialzerstörerischen Produktionsweise, die man den US-Farmern aufgezwungen hat, zu schützen. Gleichzeitig könnten wir so weltweit ein Beispiel geben für die Ökologisierung der Landwirtschaft.

Statt dessen versucht die Kommission, über Preissenkungen den Rationalisierungsstand der europäischen Agrarerzeugung dem der Amerikaner anzugleichen — mit denselben sozialen und ökologischen Auswirkungen. Der EG-Kommission kommt nur der Zeitpunkt ungelegen, weil der von den USA geforderte schnelle Abbau der Subventionen die fast revolutionäre Stimmung in der Landbevölkerung europaweit eskalieren würde.

Was ist Ihre Prognose für den Ausgang der Gatt-Verhandlungen?

Die Amerikaner werden ihre aggressive Agrarpolitik weiter betreiben müssen, um die augenblicklichen Haushalts- und Devisenschwierigkeiten zu überwinden, was langfristig katastrophal ist. Und die EG, die im Grundsatz keine andere Politik betreibt, wird sich der Forderung nach Liberalisierung beugen. Es ist eine Frage der Prozentsätze. Sie werden nach der Wahl in der dann folgenden Abschlußverhandlung geregelt werden.

Und die Landwirtschaft der neuen Bundesländer?

Unter diesem Preisdruck wird sich in der ehemaligen DDR nur eine industrielle, chemisierte, hochkapitalisierte Großlandwirtschaft durchsetzen können, die die noch verbliebenen besten Böden zerstört. Die anderen Landschaften werden den Umweltverbänden angedient, die sie in sogenannte Öko- und Sozialreservate umwandeln dürfen. Interview: Michael Bullard

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen