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Bayerns Innenminister: konsequenter Vollzug

Kurdischer Familie droht Abschiebung in Türkei Gutachten: Keine Verfolgung wegen Volkszugehörigkeit  ■ Von Klaus Wittmann

Leipheim (taz) — In der kleinen Wohnung des Asylbewerberheims von Leipheim, in der Mehmet Can, seine schwangere Frau und seine acht Kinder leben, ist die Angst allgegenwärtig. Jeden Tag muß die Familie damit rechnen, in die Türkei abgeschoben zu werden. Vor drei Tagen lief die Frist ab, die das Landratsamt Günzburg der kurdischen Familie gesetzt hat. Das Verwaltungsgericht Augsburg muß jetzt über einen Eilantrag des Rechtsanwalts entscheiden. In Günzburg will man so lange abwarten.

Das Landratsamt hält die Ausweisung für rechtens, da zwei Asylanträge der Familie Can bereits abgelehnt worden sind. Abteilungsleiter Stefan Papsthart stützt sich auf ein Gutachten des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Darin heißt es, eine Verfolgung der Kurden alleine wegen ihrer Volkszugehörigkeit finde nicht statt. Im Gutachten wird sogar behauptet, eine Wahrscheinlichkeit, daß Mehmet Can wegen seiner Mitgliedschaft im kurdischen Arbeiterverein verfolgt wird, bestünde nur, wenn er an hervorgehobener Stelle tätig gewesen wäre. Da Mehmet Can nur einfaches Mitglied sei, könne ausgeschlossen werden, daß bei der Rückkehr eine Verfolgung einsetzt. „Diesen Menschen droht mit Sicherheit Gefahr“, konstatiert hingegen Ralf Eilers von der Gesellschaft für bedrohte Völker. „Jeder, der sich für das Recht der Kurden auf mehr Selbständigkeit einsetzt, muß mit Verfolgung rechnen.“ Mehmet Can hat beispielsweise bei einer Maikundgebung ein Transparent des kurdischen Arbeitervereins getragen und ist damit sogar in einer Lokalzeitung abgebildet worden.

Rechtsanwalt Karsten Schultz- Ninow, der die kurdische Familie vertritt, hält die Begründung des Landratsamts für abenteuerlich und fürchtet, daß man es sich dort zu leicht macht. Immerhin hat Mehmet Can zahlreiche Briefe vorgelegt, in denen er ausdrücklich vor einer Rückkehr gewarnt wird. Diese Briefe werden im Landratsamt jedoch als sogenannte „Gefälligkeitsbriefe“ abgetan. Mehmet Can holt einen Stapel kurdischer Zeitungen. Bilder von Hinrichtungen zeigen, was einem zurückkehrenden oder nicht gefügigen Kurden widerfahren kann. Das hat Mehmet Can in unmittelbarer Nachbarschaft auch selbst schon erlebt. „Mehr als 20 Männer sind bei uns getötet worden.“ Es ist ein Teufelskreis. Die kurdischen Männer werden von der türkischen Regierung als sogenannte Dorfwächter oder Dorfschützen eingesetzt. Wehren sie sich, droht ihnen Haft oder Folter durch die Regierung. Betätigen sie sich aber als Dorfwächter, laufen sie Gefahr, von kurdischen Widerstandskämpfern als Verräter getötet zu werden. Mehmet Can hat sich gewehrt und ist geflüchtet. Den Onkel seiner Frau hat nämlich der Dorfwächterposten das Leben gekostet. Er ist im Juli 1989 ermordet worden.

Wie es Familien ergehen kann, die aus der Bundesrepublik ausgewiesen werden, wurde erst letzte Woche deutlich. Trotz einer Petition an den bayerischen Landtag hat das Innenministerium eine kurdische Familie abgeschoben. Bereits auf dem Flufghafen in Istanbul wurden die Eltern vor den Augen ihrer Kinder mißhandelt. Doch der bayerische Innenminister Stoiber hat dafür nur eine Reihe von zynisch anmutenden Antworten parat. In einer Presseerklärung seines Ministeriums heißt es lapidar: „Andererseits wird dann im konkreten Einzelfall mit polemischen Agitationen versucht, die Behörden am Vollzug rechtskräftiger Entscheidungen zu hindern. Der Respekt vor Gerichtsentscheidungen verlangt aber einen konsequenten Vollzug durch die Verwaltungsbehörden.“

Stoiber bezieht sich dabei auf die Kritik der bayerischen Grünen. Zuvor zitiert er das Verwaltungsgericht Ansbach. Der bayerische Hardliner fordert Respekt vor einem Gericht, das sich vor einigen Wochen dadurch hervortat, dem Rechtsanwalt eines von Abschiebung bedrohten Asylbewerbers noch vor der Verhandlung versehentlich das bereits fertige Urteil zuzusenden.

Auch die größte Tochter der Familie Can kann bezeugen, was die türkischen Sicherheitskräfte mit abgeschobenen Kurden machen: „Die Familien sind schon am Flughafen auseinandergetrieben worden. Man hat ihnen die Augen verbunden, Vater, Mutter und Kinder getrennt. Und ich weiß von vielen, daß sie ihren Vater nie mehr gesehen haben. Manchmal werden die Männer einfach aufgehängt und dann in den Dreck geworfen.“

Mehmet Can: „Ich kann nicht zurück. Lieber töte ich mich.“

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