Die Zubereitung der Brautoberfläche

■ Die letzten Priesterinnen oder: Von der Verkuppelung der Braut mit dem Kleid / Bericht aus einem Bremer Brautmoden-Salon

Feierlich wie eine Priesterin geleitet sie mich die geschwungene Treppe empor: in eine Traumwelt voll weißer Wölkchen, dazwischen als sicherer Hort ein grünes Rokokosofa. Nein, als Priesterin oder Zeremonienmeisterin fühle sie sich gar nicht, sagt die junge Verkäuferin mit dem blonden Haarknoten. Ihre Ausbildung als Schneiderin habe ihr einen profanen Blick gegeben: Träume müssen passen. Und dürfen weder zwicken noch rutschen.

Die meisten Bräute träumen einfach „weiß und lang“, aber weiß und lang sind hier fast alle Modelle, welcher Traum also paßt zu welcher Möchtegern- Prinzessin? „Das sehe ich sofort, am Gesicht und wie sich eine Kundin bewegt.“ Danach entscheidet die Verkäuferin, ob eher elegant- streng oder lieblich-verspielt angesagt ist, ob Schleppe oder bloß nicht. Manche Braut wächst aber auch erst im Kleid über sich hinaus, kaum schmiegt sich ihr schmeichelnd eine Satin-Korsage um die Rippen. Und mit schneiderischer Raffinesse, einer verschleiften Taille etwa, einem ablenkenden Schleier hier, einer verhüllenden Raffung dort, läßt sich auch aus solider Korpulenz das begehrte Engelhafte zaubern.

Manche wünschen unbedingt, was ihnen nicht unbedingt steht, zum Beispiel ein Kleid „wie das von Lady Di“ oder das von Sarah Ferguson. „Wir lassen immer erst anprobieren“, die zweite, ältere Verkäuferin zwinkert mir zu. „Dann leiten wir ganz allmählich zu was anderem über, meistens klappt das, und die Kundin sieht es dann selbst ein.“

Andere Bräute aber erweisen sich als Dickköpfe: Eine nicht mehr ganz junge Dame, vielleicht schon mal geschieden, will dann doch nicht, wie dringend empfohlen, zum dezent Pastellfarbenen greifen, nein, weiß muß sein und Krone und lange Schleppe. „Solche Träume zerstören wir dann natürlich nicht.“

Der Sprung aus den Jeans ins schulterfreie Spitzengewand ist ein beträchtlicher. Manch eine Braut geniert sich anfangs noch, empfindet den Pomp als Verkleidung und ihr nicht ganz gemäß. „Aber das ist kein Problem“, meint die ältere Verkäuferin, die schon auf dreizehn Jahre Brautmodenverkauf zurückblicken kann, „da fangen wir mit einem ganz schlichten Corsagenkleid an, das kann man dann steigern.“ So ein Brautkleidkauf dauert sowieso seine zwei bis drei Stunden, und dann will es die Braut doch noch mal überschlafen.

Die türkischen Bräute werden gleich vom kompletten weiblichen Teil der Familie beraten. „Bei uns ist eine Hochzeit ja fast ein Heiligentag“, erzählt mir im Laden die junge türkische Kollegin, „eine Stickerei muß das Kleid mindestens haben, da ist auch nichts zu teuer.“ Auch die ältere Blonde gerät ins Schwärmen über diese Kundinnen: „Diese jungen Frauen sind ja auch viel schöner; wenn man denen ein weißes Krönchen auf das Haar setzt — herrlich!“ Sie mögen es bedeckter, erfahre ich: lange Ärmel und Stehkragen.

Da kommt ein Sümmchen zusammen, bis so eine Braut verpackt ist: angefangen bei dem speziellen hautfarbenen BH, der nicht durchdrückt, über die Handschuhe (lange aus Satin kosten etwa hundert Mark), bis zu Reifrock und Pompadour-Beutelchen; nicht zu vergessen den Schleier! Als besonders reizvoll gilt ein Überwurfschleier, verschleiert rein in die Kirche, entschleiert raus.

Solch eine Braut hat schon was von einem hübsch verpackten Geschenk, jeder Zoll ein Versprechen auf ein Stück Himmel. Hilfreich sind dabei die hauchzarten Gestecke aus Stoffblüten, Perlchen und Pailletten, die ins Haar, auf die Schulter oder an die Taille gesteckt werden und so die Brautoberfläche in viele Gärten aufteilen und die besonders reizvollen Zonen markieren.

Das teuerste Kleid im Salon kostet 3500 Mark, es ist übersät mit Perlchen, die von Hand angenäht werden mußten. Das preiswerteste Kleid, auch nicht gerade schäbig, ist für 350 Mark zu haben. Mit etwas Glück erwischt die Kundin sogar ein Sonderangebot, herabgesetzt, weil das Kleid schon einmal gereinigt wurde, denn vom vielen Anprobieren leidet ein Kleid doch — obwohl beim Überziehen eine Stofftüte getragen werden muß, damit die Schminke auf der Backe bleibt.

Und was ist gerade in? Die beiden Verkäuferinnen schauen mich verständnislos an, denn die Brautmode bleibt im wesentlichen über die Jahre hinweg gleich. Nun ja, Hosenanzüge werden fast nicht mehr hergestellt, und früher gab es auch mehr Kleider aus Spitze und Rohseide, aber sonst - es sind die gleichen klingenden Namen „Tüll, Taft, Organza und Satin“, die gleichen Schleppen und Schleifen. Und vermutlich die gleichen Hochzeiten.

Kommen im Herbst nur zwei bis drei Bräute in den Laden, so steigert sich das ab Weihnachten rapide, das sind dann schon die Bräute für den Mai. „Aber am meisten war am 8.8.88 los“, strahlen die beiden. Wenn schon nicht Priesterinnen, dann sind sie doch mindestens Zofen aus Leidenschaft. Christine Holch