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Ohne den heiligen Reis kein Tenno

Über die Thronfolgezeremonie für den neuen japanischen Kaiser hat sich eine heftige innenpolitische Kontroverse entwickelt/ Es geht um die Trennung von Religion und Staat  ■ Von Ulrike Wöhr

„Japan weigert sich, seinen Markt für ausländischen Reis zu öffnen.“ „Japanische Intellektuelle, Bürgerinitiativen und die parlamentarische Opposition protestieren gegen die staatliche Finanzierung der Krönungsfeierlichkeiten des neuen Tenno Akihito.“ Zwei Meldungen, die zunächst ohne Zusammenhang und von rein (wahl-)politischem Hintergrund zu sein scheinen: Die regierende Liberaldemokratische Partei fürchtet, durch eine den hochsubventionierten einheimischen Reisbau gefährdende, unpopuläre Entscheidung ihr wichtigstes Wählerpotential zu vergraulen; Bürger und Opposition wehren sich dagegen, daß Steuergelder für unangemessenen Pomp verschwendet werden. So ließen sich die Vorgänge plausibel erklären. Doch die beiden Angelegenheiten sind komplizierter und hängen überraschend eng miteinander zusammen.

Nach dem Staatsbegräbnis des Tenno Hirohito im Januar letzten Jahres steht Japan und seiner kaiserlichen Familie jetzt im November eine erfreulichere Feier ins Haus: Am 12. November soll der neue Tenno Akihito in einem Staatsakt offiziell den Thron besteigen. Zehn Tage später folgt in Form eines esoterischen Rituals der eigentliche Hauptteil der Zeremonie. Dieses sogenannte „Fest des Großen Reiskostens“ (Daijosai) wird im Kaiserpalast unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden und sich vom 22. über Nacht bis zum 23. November hinziehen. Im Etat für 1990 hat die Regierung für die religiösen Feierlichkeiten umgerechnet weit über 80 Millionen DM eingeplant.

Gegen das Daijosai und vor allem gegen dessen staatliche Finanzierung erheben sich seit über einem Jahr kritische Stimmen aus der politischen Opposition, aber auch von renommierten Staats- und Verfassungsrechtlern sowie buddhistischen und christlichen Verbänden und Initiativen. Sie protestieren dagegen, daß das Daijosai aus Steuergeldern finanziert werden soll, und das heißt auch, daß dieses religiöse Ritual den Rang eines Staatsaktes erhält.

Hauptgegner dieser Anschauung ist neben der konservativen Regierungspartei LDP vor allem das sogenannte „Volkskomitee zur Wahrung der Tradition des Daijosai“. Treibende Kraft dieser seit November 1989 aktiven Vereinigung ist der „Verband der Shino-Schreine“. Zur Unterstützung einer Petition, in der gefordert wird, das Daijosai als Staatsakt zu begehen, gelang es dem Komitee, binnen zwei Monaten 6 Millionen Unterschriften zu sammeln. Hauptargument dieser Gruppierung: Das Ritual des Daijosai gehöre zum „Kern der japanischen Kultur“.

Die Auseinandersetzung wird mit großer Heftigkeit geführt. Es bleibt dabei nicht allein bei Wortgefechten: Kritische Geister, die ihre Bedenken zu laut äußern, müssen um ihr Leben bangen. So wurde jüngst der Rektor einer christlichen Universität von Rechtsextremisten bedroht, die Schüsse auf seine Privatwohnung abgaben. Von der Tragweite des Problems zeugt auch die Vermeidungsstrategie der öffentlichen Stellen: Streng geheimgehalten werden zum Beispiel die Orte, wo der für das Daijosai bestimmte heilige Reis gehegt und gepflegt wird und die durch ein uraltes Ritual, eine Art Orakel, festgelegt werden. Einst, bei der Thronbesteigung des letzten Tenno (1928), waren die heiligen Reisfelder Mittelpunkt zahlreicher religiöser Feste gewesen. Jetzt hat man Angst vor dem Terror linksextremistischer Gruppen, die bereits in Flugblättern zur Zerstörung der heiligen Ernte aufgerufen haben. Ohne Reis aber kein Tenno, keiner jedenfalls, der mit dem Segen und der Kraft der kaiserlichen Urahnin, der Sonnengöttin, regieren wird.

Die geistigen und politischen Ursprünge dieses Glaubens liegen weit zurück. Schriftlich belegt ist die Zeremonie des „Großen Reiskostens“ erstmals in einem Gesetzeskodex von 701, aber die Tradition ist älter. Tatsächlich sind in den Ritualen des Kaiserhauses uralte Riten des Shinto-Glaubens, der animistischen Urreligion Japans überliefert, derzufolge in den Dingen und Lebewesen eine Art Seele oder Lebenskraft wohnt. Besondere Bedeutung erhielt dieser Glaube im Zusammenhang mit dem Reis, seit dem Altertum das wichtigste Grundnahrungsmittel: In der Reispflanze wohnte die Seele des Landes selbst, und der Genuß ihrer Frucht brachte Gesundheit, Reichtum und langes Leben. Diesen Glauben nutzten die Vorfahren des Kaiserhauses politisch: Sie forderten die ersten Körner der Reisernte im ganzen Land als Tribut und beanspruchten damit gleichzeitig die dem Reis innewohnende Seele des Landes für sich. So legitimierten sie ihren Herrschaftsanspruch über die Gebiete damals noch unabhängiger Clans in Zentraljapan. Ein solcher Animismus mit politischen Implikationen ist auch in dem Inthronisierungsritual des Daijosai lebendig. Dieses Ritual ist eine aus heutiger, profaner Sicht mit ungeheurem Aufwand betriebene spirituelle Investitur. Für Aussaat, Aufzucht und Ernte des heiligen Reises gelten komplizierte kultische Vorschriften. Eigens für die Feier sind zwei riesige hölzerne Schreine zu errichten, die anschließend wieder abgerissen werden müssen.

Unter den Ritualen des Daijosai, die der Tenno erst nach der Beachtung zahlreicher Tabus und Reinigungsvorschriften in der Abgeschlossenheit des kaiserlichen Palastes durchführt, sind das Kosten des heiligen Reises und das Einhüllen in einen angeblich aus mythischer Zeit stammenden Umhang besonders bedeutsam. Bei diesen Handlungen übertrage sich, so die Vorstellung, auf den jeweiligen Tenno die unsterbliche kaiserliche Seele, die ihn eins werden läßt mit der Sonnengöttin Amaterasu. Die kaiserliche und also göttliche Abstammung ist eine Voraussetzung, die der Tenno Kraft seiner Geburt mitbringen muß, aber erst die heiligen Rituale des Daijosai machen ihn zum sakralen Herrscher.

Das Daijosai hatte im modernen Japan vor 1945 als staatliche Institution eine feste rechtliche Grundlage. Die Initiatoren der sogenannten Meiji-Restauration brauchten den Tenno als Integrationsfigur, um die Nation zu einigen und den Westen in militärischer und technischer Hinsicht einzuholen. In den vorangegangenen 250 Jahren der Abschließung Japans und schon in den Jahrhunderten zuvor hatte der Tenno eine Schattenexistenz geführt. Jetzt besann man sich seiner sowie des Prinzips, das im Altertum die kaiserliche Macht begründet hatte: der Einheit von Kult und Regierung. Gemeint war der Shinto- Kult des Kaiserhauses, der zahlreiche Elemente des alten Volksglaubens enthielt und nun als Machtmittel gegen das Volk eingesetzt wurde.

Unmittelbar betroffen sahen sich Buddhisten und Christen, aber auch Shinto-Gruppen, deren Lehre und religiöse Praxis nicht mit den Maximen des Staats-Shinto übereinstimmten. Zwar garantierte schon die Verfassung von 1889 Religionsfreiheit — ein Zugeständnis an die westlichen Mächte, die Japan unter Druck setzten. Aber dieses Grundrecht wurde geschickt außer Kraft gesetzt: Man leugnete einfach den religiösen Charakter des Staats-Shinto und machte den Kaiserkult zur Untertanenpflicht.

Nach der Niederlage Japans 1945 bereiteten die US-amerikanischen Besatzer Staats-Shinto und Kaiserkult eine abruptes Ende. In dem Gesetz von 1947, das die Angelegenheiten der kaiserlichen Familie regelt, findet deshalb auch Daijosai keine Erwähnung mehr. Die Kritiker der Regierung berufen sich jedoch nicht so sehr auf dieses Gesetz als vielmehr auf die Verfassung. Diese proklamiert die Trennung von Religion und Staat aufgrund der schlimmen Erfahrung des Staats-Shinto als wirksamem ideologischem Instrument des japanischen Faschismus und Militarismus. Das Daijosai, so lautet die Forderung, müsse als Privatsache des Kaiserhauses betrachtet und also ohne staatliche Unterstützung gefeiert werden.

In der Tat setzen sich die Befürworter der staatlichen Finanzierung des Daijosai ins Unrecht, egal wie sie argumentieren: Gestehen sie den religiösen Charakter der Feier ein, so müssen sie sich Verfassungsbruch vorwerfen lassen. Bestehen sie aber darauf, daß die Riten des Kaiserhauses nicht Religions-, sondern Staatssache seien, so wiederholen sie die Argumente derer, die einst den Shinto zum Staatskult machten.

Unterdessen bemühen sich die Regierung und auch der neue Kaiser selbst ebenso wie die Presse um Beruhigung der erhitzten Gemüter: Man wird am 12. November alles unterlassen, was an das alte Tenno-System und undemokratische Traditionen erinnern könnte: Ministerpräsident Kaifu wird, wenn das Volk „Banzai“ ruft, auf einer erhöhten Plattform neben dem Tenno stehen. Und man wird peinlich darauf bedacht sein, böse alte Erinnerungen in Japans Nachbarstaaten möglichst nicht wachzurufen: zum Beispiel Banner mit mythischen Tieren, die mit der Invasion Koreas durch die legendäre Herrscherin Jingu (4. Jh.) in Verbindung stehen. Freilich tut Japan gut daran, unter den Augen der Fernsehkameras und der 500 ausländischen Staatsgäste zu beweisen, daß es die Demokratie ernst nimmt und die Souveränität seiner asiatischen Nachbarländer achtet.

Zehn Tage später jedoch wird unter Ausschluß der Öffentlichkeit, aber mit deren finanzieller Beteiligung für viele der eigentliche Teil des Thronfolgerituals stattfinden. Ist das ein weiteres Symptom für eine Entwicklung, die bereits unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Nakasone eingesetzt hat, daß die nach 1945 nicht gerade freiwillig eingeführte Demokratie über kurz oder lang untergraben wird?

Wie oben deutlich wurde, steckt auch hinter der Weigerung, das Importverbot für ausländischen Reis aufzuheben, mehr als nur ein tagespolitisches Problem. Ursprung und Geschichte des Daijosai werfen ein Licht auf das Verhältnis des japanischen Volkes zum Reis und zum Reisanbau. Auch in der Diskussion um die Öffnung des Marktes wird mit dieser „spirituellen“ Verbindung argumentiert. Wer das Argument lächelnd abtut, macht sich nicht klar, daß es für dasselbe reaktionäre und japanozentristische Gedankengut steht wie die Bestrebungen, die Einheit von Religion und Staat wieder herzustellen.

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