: Friedens-Juristen gegen Bush
■ Im ICC berieten internationale Juristen Alternativen zur atomaren Abschreckung/ Ex-US-Flottenchef wetterte gegen Bushs Golfpolitik
Charlottenburg. Über der zerbrochenen Rakete prangt ein dickes Paragraphenzeichen. Es ist das Signet der Internationalen Vereinigung von Juristen gegen Nuklearwaffen (IALANA), die am Wochenende im Westberliner Internationalen Congress Centrum (ICC) tagte. Die seit zwei Jahren existierende Organisation setzt sich unter anderem für die Abschaffung aller Atomwaffen bis zum Jahr 2000 ein.
Speziell in den Vereinigten Staaten berät sie Friedensgruppen. Leider waren die Themen, die die 160 hochkarätigen Rechtsanwälte und Politologen diskutierten, für Laien nur schwer verständlich. So hieß es beispielsweise in einer »Berliner Deklaration«, die atomare Abschreckung versuche, »mit militärischen Mitteln auf das Kosten-Nutzen-Kalkül eines potentiellen Gegners so Einfluß zu nehmen, daß der Gewinn, den der potentielle Gegner aus einer möglichen militärischen Aggression ziehen kann, in einem nicht mehr tragbaren Verhältnis zu den Kosten einer solchen Aggression steht«. So ein Juristendeutsch gehört wohl besser in Erbschaftsverträge.
Auf dem Kongreß ging es allerdings nicht so steifleinern und gespreizt zu: So wetterte der pensionierte US-Admiral John »Jack« Shanahan bärbeißig gegen die Golfpolitik von Präsident Bush. Er solle den Konflikt den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga übergeben. Die anderen Staaten sollten Bush versichern, daß er nicht seine »manhood« verliere, wenn er die Soldaten aus der Wüste zurückhole, meinte der ehemalige Kommandant der zweiten Atlantikflotte, der wie ein alter Hollywoodstar auftrat — freilich besser als Ronald Reagan.
Ein paar Plätze weiter nickte der sowjetische Generalstaatsanwalt Alexander Sucharew zustimmend. Auch der gedrungene Mann mit dem leicht geröteten Gesicht verurteilte den Kuwait-Coup. Wenn jetzt ein militärischer Konflikt ausbreche, wisse keiner, »wo das hinführt«. Übereinstimmnung erzielten Admiral Jack und Gorbatschows Chefankläger darüber, daß alle besetzten Gebiete im Nahen Osten geräumt werden sollen — also auch die von Israel okkupierten Gebiete in Palästina.
Der Ex-Flottenchef gab sogar dem Einwand des russischen Generals Anatoli Gribkow recht, daß die US-Navy mit ihren zahlreichen Atomwaffen den Abrüstungsprozeß erschwere. »Yes, that's right.« Die Einmütigkeit verblüffte. Wo sitzen die neuen Gegner — ganz augenscheinlich in der Wüste.
Vom Abrüstungs-Talk unter dem Funkturm bekamen die Berliner fast gar nichts mit. Nur ein Journalist tauchte zur Pressekonferenz auf. Wichtigeres war zu tun: PDS-Vermögen, Wahlen, Stadtautobahn- Verlängerung. Dabei hätte keiner über den Tellerrand zu schauen brauchen — das ICC liegt mitten in der Stadt. Christian Böhmer
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