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Autowahn treibt Fälscherblüten

■ Banden am Werk: Mit nachgemachten TÜV-Plaketten werden schrottreife Autos meistbietend verhökert

Berlin. Pfeifend fährt der Lehrling aus Ost-Berlin sein erstes eigenes Auto zum Kraftfahrzeugverkehrsamt. 5.000 Mark hat ihn der zehn Jahre alte Audi 100 gekostet. Nicht ganz billig, aber spitzenmäßig erhalten, denkt sich der junge Mann und schiebt dem Sachbearbeiter im Kraftfahrzeugverkehrsamt mit stolzgeschwellter Brust die Anmeldung zu. Der Sachbearbeiter wirft einen prüfenden Blick auf den Kraftfahrzeugschein, entfernt sich kurz und kommt gleich darauf mit zwei unauffällig gekleideten Herren zurück: »Fahren Sie mit dem Wagen bitte im Hof rechts ran.«

Eine halbe Stunde später bricht für den Lehrling eine Welt zusammen. Der Stempel auf dem Kraftfahrzeugschein und die TÜV-Plakette, die den Audi bis 1993 für betriebstauglich ausgewiesen hatten, waren gefälscht. In Wirklichkeit war der Unterboden völlig durchgerostet und der Wagen damit nur noch einen Schrottpreis wert.

Rund 170 Fälle dieser Art sind bei der Polizei zur Anzeige gelangt. Die Geschädigten sind einem oder mehreren Täter auf den Leim gegangen, die immer nach der gleichen Masche verfuhren: Die nahezu schrottreifen Autos wurden mit einer gefälschten TÜV-Plakette versehen, die mittels Farbfotokopierer erstellt wurde. Dann wurde der Kraftfahrzeugschein verändert und das Auto für mehrere tausend Mark verkauft. Die gefälschten TÜV-Plaketten fielen durch Farbabweichungen auf, die jedoch nur bei genauem Hinsehen bemerkt werden können. Wie die alten TÜV-Plaketten vom Nummernschild abgelöst wurden — normalerweise geht das nicht so ohne weiteres — wollte Polizeisprecher Müller nicht verraten.

Die Fälschungen wurden in der Regel erst bei der Ummeldung des Fahrzeugs erkannt. Die Folgen für die neuen Besitzer: Beschlagnahmung des Fahrzeugscheins und des Kennzeichens. Das Fahrzeug müsse zur Neuzulassung beim TÜV vorgeführt werden. Dabei zeige sich, daß sich die meisten Autos in einem schrottreifen Zustand befinden. Nach Angaben der Polizei sind 30 Prozent der betrogenen Käufer Bürger der ehemaligen DDR, aber auch viele Ausländer seien betroffen. Das Vorgehen der Täter lasse darauf schließen, daß hier organisierte Fälscherbanden am Werk seien. Eine Sonderkommission der Kripo soll ihnen jetzt das Handwerk legen.

Auf einer Pressekonferenz erklärte Kriminalrat Graichen gestern, daß zwei Tatverdächtige, ein Deutscher und ein Pole, vor einigen Tagen geschnappt worden seien. Kripo und Polizei raten den Berliner Bürgern, vor dem Autokauf den Kraftfahrzeugschein und die TÜV-Plakette genau zu untersuchen. Außerdem sollten sie sich den Personalausweis des Verkäufers vorlegen lassen und diesen mit den Daten im Kaufvertrag vergleichen. Außerdem müsse die TÜV-Plakette auf die richtige Farbe — 1990 blau, 1991 gelb, 1992 braun, 1993 rosa — kontrolliert werden. Die taz rät: Am besten überhaupt kein Auto kaufen! plu

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