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Aus für die 'Göttinger Woche‘

■ Die kleinste unabhängige kommunale Wochenzeitung der Republik stellt ihr Erscheinen ein/ Blattmacher können sich Selbstausbeutung nicht mehr leisten

Göttingen (taz) — Der Wald kann aufatmen. Das 'Göttinger Tageblatt‘ ist eine mißliebige Konkurrenz losgeworden: Nach langem Siechtum verstarb Anfang November die 'Göttinger Woche‘, die kleinste der drei verbliebenen unabhängigen kommunalen Wochenzeitungen im früheren Bundesgebiet. Mehr als fünf Jahre nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe, nach etlichen Krisen und einigen längeren Produktionspausen warfen die verbliebenen Blattmacher jetzt endgültig das Handtuch. Begründung: Der Arbeitsaufwand, alle 14 Tage — zu einem wöchentlichen Erscheinen hatte es bei der 'Göttinger Woche‘ nie gereicht — eine Zeitung zu produzieren, „war ehrenamtlich nicht mehr leistbar“.

Feste Stellen oder auch nur Zeilenhonorare konnte das Blatt seinen AutorInnen nicht bieten. Das wenige Geld, das der Zeitung aus dem mageren Anzeigengeschäft und den — je nach Jahreszeit und politischer Konjunktur — 1.200 bis 2.500 verkauften Exemplaren zufloß, reichte gerade für Raummiete, Telefon und Druckerei. Um Kosten zu sparen, besorgte die Redaktion den Satz und das Layout selbst. „Drei bis fünf wöchentliche Treffen, diverse Termine außerhalb, ständige Tipp- und Klebenächte“, so ein Mitarbeiter, „waren auf Dauer einfach zu viel.“

Mehrere qualifizierte JournalistInnen verließen die 'Göttinger Woche‘ im Laufe der Jahre und heuerten, teilweise erfolgreich, bei anderen Medien an. Um die personellen Lücken zu füllen, mußte der verbleibende Redaktionskern ständig neue MitarbeiterInnen rekrutieren. Durch die ständige Fluktuation und, damit verbunden, den Zwang, möglichst rasch neue Leute in den Produktionsprozeß zu integrieren, konnten das inhaltliche Niveau und das Outfit der 'Göttinger Woche‘ selbstredend nicht angehoben werden. Zu viele journalistische Zufälligkeiten, abgekippte Spalten und krumme Überschriften prägten das Bild des Blattes. Aber gerade das hätte vermieden werden müssen, um in der akademisch geprägten Stadt neue Leserkreise zu gewinnen und das Zeitungsprojekt damit auf einen festeren finanziellen Sockel zu stellen.

Trotz der strukturell bedingten Unzulänglichkeiten reißt das Ableben der 'Göttinger Woche‘ ein weiteres großes Loch in die ohnehin karge südniedersächsische Presselandschaft. Noch weniger hinterfragt als bisher, wird es sich die konservative Monopoltageszeitung 'Göttinger Tageblatt‘ in Zukunft leisten können, kommunalpolitische Skandale — jedenfalls soweit Stadtverwaltung und Geschäftswelt, Polizeiführung und Justizbehörden darin verwickelt sind — klein zu kochen oder ganz unter den Teppich zu kehren. Weder die beiden Hochglanz- City-Magazine, denen der aktuellste Kneipenklatsch immer noch 20 Zeilen mehr wert ist als die Geschichte über leerstehenden Wohnraum, noch die vier Göttinger Anzeigenblätter, die zwar allwöchentlich die Briefkästen und Hausflure überschwemmen, Informationen aber eher als lästiges Werbebeiwerk interpretieren, bieten dem kritischen Lesepublikum ernsthafte Alternativen. Der freche, bisweilen unprofessionelle Journalismus der 'Göttinger Woche‘, ihr Versuch, durch ihre Berichterstattung immer wieder direkt in die Auseinandersetzungen vor Ort zu intervenieren, wird vermißt werden, wenn auch leider nur von wenigen. Reimar Paul

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