: „Natürlich bin ich auch ein Bürger Israels“
Die arabischen Israelis fühlen sich als Bürger eines feindlichen Staates/ Radikalen Predigern wie dem ermordeten Rabbi Kahane gelten sie als „Ende des jüdischen Staates“ und auch die israelische Regierung hält sich mit Gunstbeweisen zurück ■ Aus Jerusalem Frank Ludwig
„Tod den arabischen Hunden!“ skandierten Tausende von Trauergästen, die sich zum Begräbnis des ermordeten radikalen Rabbi Meir Kahane eingefunden hatten. „Hunde“, mit diesem Begriff pflegte auch der in New York erschossene Kahane alle Araber zu bezeichnen. Es ist müßig, die Brandreden, die an Kahanes Grab gehalten wurden, wiederzugeben. In endlosen akustischen Arabesken kreisten die Trauerredner um das alttestamentarische „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Nur der Oberrabbiner Elijahu mahnte Besonnenheit an und forderte: „Überlaßt die Rache Gott! Denn ,Mein ist die Rache‘, spricht der Herr.“
Etliche hundert der Trauernden mochten sich damit freilich nicht zufrieden geben. Sie scherten aus dem Trauermarsch aus und befriedigten ihre Rachegelüste auf ganz irdische Weise. Sie prügelten auf jeden ein, den sie für einen Araber hielten, verwüsteten arabische Läden und bewarfen Polizisten mit Steinen. Denn daß viele der verhaßten Araber rechtlich längst zu ihren Landsleuten zählen und einen israelischen Paß besitzen, ist für die Kahane-Jünger schlicht unfaßbar. Für sie ist jeder Schritt hin zu einem binationalen Staat Israel der Anfang vom „Ende des jüdischen Staates“.
„Natürlich bin ich auch ein Bürger Israels“, beharrt Movid. Und erklärend fügt er hinzu: „Ein israelischer Staatsbürger palästinensischer Nationalität.“ Ob er denn Schwierigkeiten mit dieser doppelten Identität habe? Movid will meine Frage nicht recht verstehen. „Schwierigkeiten? Die haben doch nur jene, die in den besetzten Gebieten, in Ostjerusalem, der Westbank oder im Gazastreifen leben. Sie wollen einen eigenen, neuen Staat. Ich aber habe meinen bereits.“
Movid stammt aus Taibiya, dem nach Nazareth größten arabischen Ort in Israel. Vor drei Wochen machte Taibiya Schlagzeilen: Zwei Tage lang liefern sich Jugendliche und Polizei heftige Auseinandersetzungen. Es gibt Verletzte und Verhaftete. Die Fernsehaufnahmen davon hätten jederzeit auch irgendwo in der Westbank oder im Gazastreifen gedreht sein können: Brennende Autoreifen, Barrikaden, Steine, palästinensische Fahnen, mit schwarz-weißen Tüchern verhüllte Gesichter, Wasserwerfer, Gummigeschosse und Tränengas, Verfolgungsjagden durch enge Gassen. Intifada in Israel?
„Wenn es hier regnet, gibt es kein Durchkommen“, sagt Dschamil, der mich am Ortseingang von Taibiya erwartet. „Die Autos versinken dann im Schlamm.“ Seit drei Monaten hat Taibiya das Stadtrecht. Nach jahrelangem zähen Ringen mit den Behörden. Denn Stadtrechte bedeuten mehr Ansprüche auf größere Zuwendungen aus dem israelischen Staatssäckel. Zum Beispiel für befestigte Straßen.
„Wie für dich bestellt“, grinst Dschamil, der im örtlichen Büro der Histradrut — der israelischen Gewerkschaftszentrale — arbeitet, als wir vor einer kleinen Fabrikhalle ankommen. Hinter hohen Büschen und Hallen ist das niedrige Gebäude kaum zu sehen. Um so deutlicher vernehme ich die lauten Stimmen. In heller Aufregung reden 20 Frauen durcheinander. Scheinbar unbeeindruckt steht ein kleiner, bärtiger Mann dazwischen. Die Fäden des Gebetsschals, die unter seiner schwarzen Weste herabhängen, weisen ihn als orthodoxen Juden aus. Ruhig und gelassen gibt er seine Anweisungen. Große Holzkisten werden auf einen LKW geladen. In einer halben Stunde soll alles vorbei sein: ,Zvi Hiber & Sons‘ zieht um, über Nacht, ohne vorherige Ankündigung. Unterwäsche und Armeeuniformen sollen jetzt woanders genäht werden. „Wahrscheilich in den besetzten Gebieten“, vermutet Djamil. „Dort sind die Löhne noch niedriger.“ Dabei lagen sie hier schon bei nur der Hälfte des gesetzlichen Mindestlohns. Zwischen 600 und 800 Schekel (circa 500 bis 700 DM) hatte Zvi Hiber seinen Arbeiterinnen gezahlt. Beiträge für Sozialleistungen wie Krankenversicherung und Altersversorgung führte Zvi Hiber trotz der Hungerlöhne selbstverständlich nicht ab.
„In der Westbank kriegt er die Leute für ganze zwei Schekel die Stunde“, sagt eine Frau. Sie schäumt vor Empörung. Mitten in der Nacht hätte das Abtransportieren begonnen. Nachbarn seien mißtrauisch geworden und hätten sie informiert. Sie seien alle gleich gekommen. Doch geholfen habe es nicht. Nun bleibe nur noch das Arbeitsgericht. Aber ob sie da Recht oder wenigstens eine Abfindung erhalten, liege in den Sternen. Sie hätten schließlich nicht einmal einen Arbeitsvertrag.
Etwas außerhalb der Stadt liegen etliche kleinere Betriebe. Etwas Marmor wird verarbeitet, Baustoffe werden hergestellt, Autos repariert. Alles in allem höchstens 200 Arbeitsplätze, schätzt Djamil. Immerhin 50 finden ihr Auskommen im Baubetrieb von Sadr Masarwi. Unter freiem Himmel werden Hohlblocksteine gegossen. Ein metallfarbener Mercedes steht vor dem betrieb. Der Chef Sadr Masarwi hat es zu etwas gebracht. Erst vor zehn Jahren fing er an, „ganz allein, mit Energie und Glück“, predigt Djamil. „Doch weiter geht es nun nicht mehr“ bedauert der Chef bei einem türkischen Kaffee. Für arabische Unternehmer gibt es bei israelischen Banken nur sehr schwer Kredite. Vor allem, es fehlt an Land für die Vergrößerung des Betriebes. Geeignetes Land, das für die Erweiterung der Betriebe nötig wäre, wurde von der israelischen Regierung schon vor Jahren enteignet und in jüdische Hände übergeben.
„Das größte Problem für uns sind die fehlenden Arbeitsmöglichkeiten“, erklärt Djamil. Beim Arbeitsamt im Ort sind 650 Arbeitssuchende registriert. Noch einmal 850 fallen durch das Netz der gesetzlichen Bestimmungen zur Arbeitslosenunterstützung. Seit Monaten bereits konnte vom Arbeitsamt keine einzige Arbeitsstelle angeboten werden. Mehr als 80 Prozent der Erwerbstätigen aus Taibiya nehmen daher notgedrungen die langen Anfahrtswege in Kauf und pendeln täglich hinüber in den Großraum von Tel Aviv. Doch auch dort wird die Arbeitssuche immer schwieriger. Monat für Monat drängen Tausende von Neubürgern aus der Sowjetunion auf den Arbeitsmarkt.
„Die Menschen hier verlieren die Hoffnung“, sagt Zubair Taibi. Der Arzt aus einer der angesehensten Familien des Ortes ist ein Cousin jenes Ahmad Taibi, der vor Monaten in die internationalen Schlagzeilen geriet, nachdem sich herausstellte, daß er Begegnungen zwischen israelischen Politikern und PLO-Funktionären vermittelt hatte. „Das Gefühl fehlender Perspektiven breitet sich aus, und das in einer Gesellschaft, in der 70 Prozent der Menschen jünger als 30 Jahre sind.“ Die eigentliche Gefahr besteht darin, daß die Identität der Palästinenser in Israel, ihr in Jahrzehnten aufgebautes Selbstverständnis, Bürger dieses Staates zu sein und bleiben zu wollen, ins Wanken zu geraten beginnt. „Es ist das Gefühl, in einem fremden, feindlichen Staat zu leben, das um sich greift“, erklärt Zubair Taibi. „Da entstehen tief im Inneren der Menschen Sehnsüchte nach einer eigenen Identität.“ Noch findet das nirgends eine politische Artikulation. „Aber wir stehen in einem Wettlauf mit der Zeit. Wenn die Regierung nicht bald ihre Augen für die gravierenden Probleme der arabischen Minderheit öffnet“, sagt Zubair mit nachdenklichem Gesicht, „dann kann wohl keiner ausschließen, daß auch bei uns über kurz oder lang zum Alltag wird, was wir seit drei Jahren in den besetzten Gebieten erleben.“
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