: „Wanderarbeiter zurück aufs Land!“
Die schweren Unruhen zwischen ANC- und Inkatha-Anhängern rund um Johannesburg sind auch auf die angespannte Stimmung zwischen den Wanderarbeitern, die in Wohnheimen leben, und den Bewohnern der Townships zurückzuführen ■ Aus Johannesburg Hans Brandt
„In den Townships sagen sie, daß sie uns Zulus nicht mehr sehen wollen. Deshalb mußte ich hier in das Heim ziehen.“ Die Frau im Wohnheim für Wanderarbeiter in Kagiso, einem Ghetto für Schwarze westlich von Johannesburg, schüttelt ratlos den Kopf. „Mein Mann ist zwar Wanderarbeiter, aber als die Gewalt ausbrach, hatte er schon lange in meinem Haus in Kagiso gewohnt.“
Die Spuren der Inkatha-Anhänger führten in die riesigen Wohnheime für Wanderarbeiter (Hostels), die es in allen Townships um Johannesburg gibt. Sie kämpften letztendlich gegen die Bewohner der angrenzenden Wohngebiete. „Die Leute wissen gar nicht, was Inkatha ist oder ANC“, sagt die Frau. „Ich bin weder für Inkatha noch für den ANC. Aber alle Leute in den Heimen werden als Inkatha-Anhänger und Zulus identifiziert, alle Bewohner der Townships als Freunde des ANC.“ Plötzlich war die Zeit der jahrzehntelangen Nachbarschaft vorbei.
Township-Bewohner haben im Laufe der Kämpfe die Heime schnell als Ausgangspunkte der Gewalt identifiziert. „Die Heime müssen zerstört werden, schickt die Wanderarbeiter zurück aufs Land!“ forderten jugendliche ANC-Anhänger immer wieder. In Gebieten östlich von Johannesburg zerstörten sie eigenhändig ein Heim. Und der schwarze Stadtrat von Vosloorus, einem der am schwersten umkämpften Gebiete, stellte sogar Planierraupen zur Verfügung, um einen Trakt des dortigen Heimes abzureißen.
„Wir haben Angst, in die Townships zu gehen“, erzählt ein Arbeiter im Heim in Kagiso. „Nur die alten Männer können es noch riskieren, dort einzukaufen.“ Jetzt müssen sich die Männer in den Heimen zum großen Teil selbst versorgen. In einem Raum in Kagiso hängen große Fleischteile von den Dachbalken. Einige Arbeiter haben Geld zusammengetan, ein Rind gekauft und es selbst geschlachtet. Ständig kommen Männer in das Zimmer, um Fleisch zu kaufen. Mit einer Axt wird auf einem Holzblock in der Ecke eine Portion Fleisch abgehackt und in Zeitungspapier gewickelt.
Dabei sind Hostel und Township in der Vergangenheit eigentlich gut miteinander ausgekommen. Die Frau in Kagiso — sie wollte anonym bleiben — ist in der Stadt aufgewachsen. Ihren Mann, einen Wanderarbeiter aus dem Zulu-Reservat Kwa Zulu, lernte sie bei der Arbeit kennen. „Wir arbeiten in derselben Fabrik“, erzählt sie. „Nach einiger Zeit ist mein Mann zu mir in mein Haus gezogen.“ Viele Wanderarbeiter haben Freundinnen in den Townships, auch wenn sie zu Hause schon Familien haben. Und wenn die Frau eines Wanderarbeiters ihn in der Stadt besuchte, konnte er sich meist auch darauf verlassen, im Hinterhof eines Township-Hauses kurzfristig eine Hütte mieten zu können, um mit seiner Frau alleine zu sein — in den Hostels sitzen die Männer extrem eng aufeinander. All diese Beziehungsgeflechte wurden durch die Kämpfe zerstört. „Für die Township-Bewohner sind die Heime jetzt nichts anderes als Militärbaracken, von denen jederzeit ein neuer Angriff ausgehen könnte“, erklärt Neil Coleman, Sprecher der Gewerkschaftsföderation Cosatu. Die Angst ist berechtigt. Es ist bekannt, daß es in verschiedenen Heimen regelrechte Waffenfabriken gab. In den Heimen wurden Angriffe geplant und Kampfgruppen mobilisiert.
Der ANC, Cosatu und sogar die Regierung sind sich inzwischen einig, daß die Wohnheime in ihrer derzeitigen Form nicht bestehen bleiben können. „Die Heime sind ein Konstrukt der Vergangenheit“, meinte sogar ein Sprecher des Stadtrates von Soweto, der jahrelang von der eigenen Bevölkerung wegen Zusammenarbeit mit der weißen Regierung boykottiert worden war. Denn das Gesetz zwingt Arbeitsuchende aus ländlichen Gebieten nicht mehr wie früher dazu, in solchen Heimen zu wohnen oder ihre Familien in den überbevölkerten und von Erosion bedrohten Homelands zurückzulassen. Deshalb die Forderung, daß die Heime umgebaut werden, um Wohnungen für die Familien zu schaffen.
Allerdings stößt das auf den Widerstand vieler Wanderarbeiter. „Meine Familie muß in Kwa Zulu bleiben“, sagt ein Arbeiter in Kagiso. „Das ist der Ort, wo ich geboren wurde.“ Untersuchungen, die Cosatu in Auftrag gab, zeigen, daß etwa sechzig Prozent aller Wanderarbeiter ihre Familien nicht in die Stadt nachkommen lassen wollen.
Zudem warnen Sozialwissenschaftler, daß das seit Jahrzehnten bestehende System der Wanderarbeit in Südafrika soziale Strukturen geschaffen hat, die nicht ohne weiteres geändert werden können. „Es wäre fatal, einfach Familienunterkünfte zu bauen, ohne auf die Konsequenzen in ländlichen Gebieten zu achten“, meint der Soziologe Billy Cobbett. „Von dem Geld, das Wanderarbeiter nach Hause schicken, sind viel mehr Menschen abhängig, als in einem Haus in den Townships untergebracht werden könnten.“ Wenn Arbeiter ihre Frauen und Kinder in die Stadt bringen würden, könnten Tausende auf dem Land verhungern. Eine zu schnelle Landflucht aus den Homelands könnte umgekehrt der Verslumung rund um das Industriezentrum Johannesburg Vorschub leisten. Schon jetzt ist die Wohnungsnot groß.
Zumindest am Umbau der Heime führt kein Weg vorbei. „Das System der Heime in seiner derzeitigen Form muß abgeschafft werden“, sagt Coleman. Cosatu versucht, in seinen Umbauvorschlägen die Wünsche aller Arbeiter zu berücksichtigen. Sowohl Wohnungen für Familien als auch separate Kleinwohnungen für Einzelpersonen sollten geschaffen werden. Auf jeden Fall müßten die Großräume, in denen bis zu 16 Arbeiter in einem Zimmer schlafen, verschwinden. Gleichzeitig sieht der Cosatu-Plan auch den Bau von Familieneinheiten in den Townships selbst, also getrennt von den Heimen, vor.
Coleman ist überzeugt, daß nur so langfristig Frieden geschaffen werden kann. Township-Bewohner teilen diese Meinung — auch wenn ihre Argumente direkter sind. „Wenn ein Wanderarbeiter hier mit seiner Familie lebt, wird er uns nicht so leicht angreifen“, meint Pat Quabe, der in einem Geschäft direkt neben einem Heim Bier verkauft. „Denn dann könnten die Leute aus den Townships sich an der Familie rächen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen