Unglaublich: Schwuler freigesprochen!

■ Charlottenburgs ehemaliger Bezirksbürgermeister Ubbelohde muß sich in Satire als Homosexueller bezeichnen lassen/ Und das bleibt sogar ungestraft/ Denn der Richter meint: Das ist Kunst

Moabit. Mit einer himmelschreienden Ungerechtigkeit endete gestern vor dem Landgericht der verzweifelte Versuch des ehemaligen Charlottenburger Bürgermeisters Baldur Ubbelohde (CDU), seine befleckte heterosexuelle Ehre wiederherstellen zu lassen (die taz berichtete). Auch in zweiter Instanz hat nun ein deutsches Gericht den schwulen, ehemaligen AL-Nachwuchspolitiker Micha Schulze (23) freigesprochen und dessen widerlichen Artikel »Ist Baldur hetero?« gar noch ausdrücklich als Kunst bezeichnet. Ein schwacher Trost bleibt Ubbelohde, der sich nicht als Schwuler, sondern als Vorkämpfer der Familie verstanden haben möchte: Noch kann er sich auf die 20.000 Mark Schmerzensgeld freuen, die ihm ein Zivilgericht in erster Instanz zugestanden hat.

Auslöser der schier unglaubliche Unterstellung, Charlottenburgs Bürgermeister sei ein »bisher anständig schwuler Politiker«, ist ein Beitrag in der AL-Wahlkampfzeitung 'Stachel‘ vom Januar 1989, die von besagtem Schulze herausgegeben worden war. Darin hatte man »unseren Mandanten in widerlichster Weise diffamiert« (Rechtsanwalt Raue), indem von ihm behauptet wurde »er sei homosexuell, treibe sich aber auch mit ‘einer ca. 30jährigen Blondine‚, mit der er ein Lokal um 22.15 Uhr verlassen habe, herum, leihe sich Filme ‘heterosexuellen pornographischen Inhaltes‚ aus und lehne es ab, zu diesen Vorwürfen Stellung zu beziehen.« Außerdem habe man Ubbelohdes Haupthaar rosa coloriert. Wie berichtet, ist die Saat der Brunnenvergifter aufgegangen: Bezirksbürgermeister Ubbelohde wurde von der Charlottenburger Bevölkerung jäh im Regieren gestoppt. Nur 29 Stimmen von 155.000 fehlten Ubbelohde, klagte dessen Anwalt, und der Politiker hätte die Geschicke des Bezirkes weiter lenken dürfen.

Dabei geht es unter Umständen genau um diese 29 Charlottenburger: Heftig gestritten wurde nämlich, ob der Beitrag über Ubbelohdes Sexualität den Tatbestand einer Satire erfülle. Frech behauptete Verteidiger Wolfgang Wieland (AL), es gebe keinen, der den Artikel nicht als Satire begriffen habe: »So dumm kann keiner sein!«. Richter Richter sah dies in seiner Urteilsbegründung ebenso und verstieg sich zu der Feststellung, sogar »einfach strukturierte Personen« würden diese Satire als solche erkennen. Dies hatte zuvor Anwalt Raue noch widerlegt, indem er anführte, ein Mitglied seiner Kanzlei habe zwar schallend gelacht, aber auch gefragt, ob denn an der Geschichte »was dran sei«. Geradezu skandalös ist auch die unterbliebene Ladung der Ehegattin Ubbelohde, die von Raue in einem früheren Streitstadium gefordert worden war. Eine skandalöse Unterlassung, weniger weil Frau Ubbelohde eindeutig als Beweis und Motiv der Heterosexualität ihres Gemahls hätte auftreten können, sondern vielmehr, weil sie willig ist zu bezeugen, daß aus ganz Deutschland besorgte Anrufe zur Sexualität des Vaters im Hause Ubbelohde eingegangen seien.

Auch die germanistischen Studien von Staatsanwalt Doms (Ex-P-Abteilung), der die Interessen der ebenfalls geschädigten Bundesrepublik Deutschland vertrat, blieben unbeachtet. Doms hatte herausgefunden, daß Satire »einen Kern« haben müsse. Dieser müsse wahr sein und sei so dann vom Satiriker »überpointiert und brennglasartig« zu verfremden oder zu entfremden. Doms Faustregel: »Ist der Kern nicht vorhanden, kann auch keine Satire vorhanden sein« blieb unberücksichtigt. Ebenso ein Rechtshilfeersuchen an den Altmeister Kurt Tucholsky. Anwalt Raue zitierte dessen berühmten Aufsatz »Was darf die Satire?« — und fand dort, selbige müsse die Wahrheit aufblasen. Der Advokat vergaß dabei lediglichTucholskys Hauptantwort:» Alles!«, die vom Anwalt des Schwulen prompt nachgeliefert wurde. Weiterhin angeführt wurden von den Prozeßparteien folgende prominente Namen: Schiller, Lessing, Röhm, Gründgens, Wörner, Beuys, FJS, Kießling, Antes...

Auch der Begriff der Ehre wurde in den Dreck gezogen. Dabei gestand Anwalt Raue diese sogar dem Schwulen Schulze zu: »Es ist jedermanns recht, schwul zu sein, heterosexuell zu sein, gar nichts zu sein...«. Er führte jedoch auch überzeugend aus, mit schwul sei es ähnlich wie mit schwanger. Die einen beleidigten solche Attribute nicht, andere widerum seien in ihrer persönlichen Vorstellung von Ehre betroffen, im Falle von schwanger beispielsweise »Klosterschwestern«. Der Schwule Schulze selbst wiederum nutzte die 1967 vorgenommene Teilabschaffung des Paragraphen 175 schamlos aus, bezeichnete sich trotz der Würde des Gerichts mitten in Justitias Saal frech als Homosexueller, küßte gar einen Mann und beharrte darauf, als Schwuler nicht nur Ehre zu haben, sondern in dieser durch den unbescholtenen Politiker Ubbelohde und die Berliner Justiz beleidigt worden zu sein. Micha Schulze bezeichnete es als Beleidigung von Tausenden von Berliner Schwulen und Lesben, wenn ein Gericht Homosexualität als beleidigenden Makel empfinde, wie dies die Zivilkammer jüngst getan habe. Die Revision gegen deren Urteil findet am 25.1.1991, um 10 Uhr, im Kammergericht, Witzlebenstraße, Raum 2/213, statt. Thomas Kuppinger