: Weiter und weiter mit Würde
■ »Die Zöllner« in der Wabe
Das tut gut,... für 'ne Ostband!« rief Dirk Zöllner ins Mikro, nachdem das euphorisch tosende Publikum am Samstag abend in der Wabe Zugaben von ihm und seiner Band »Die Zöllner« forderte.
Nach beinahe zwei Stunden absolut tanzbarem und perfekt vorgetragenem Souljazz überwand die zehnköpfige Band aus dem Osten Berlins spielend das Vorurteil, nach dem sowohl die Ostbands als auch die Texte, in deutscher Sprache gesungen, geschrien, geflüstert, auf den Altlasten-Müllhaufen der vom Westen verschluckten Deutschen Demokratischen Republik gehörten. Vielmehr sind es zwei der nicht wenigen Dinge, die unrecycled und pur dem jetzigen Großmaul Deutschland gut zu Gesicht stünden.
Im proppenvollen Saal im Ernst- Thälmann-Park an der Dimitroffstraße, in dem jeden Samstag Livemusik, von Modern Jazz bis Rockjazz für einen erschwinglichen Preis geboten wird, boten Die Zöllner eine vom schwarzen Soul und Funk beeinflußte Musik, die sich grob in der Nähe von »Simply Red« ansiedeln läßt. Mit dem Sänger von »Simply Red« hat Frontman Dirk Zöllner auch das Format der Stimmlage gemeinsam, die sich harmonisch in den Sound einfügt, der sich vor allem auf Percussion, Bläser und Background stützt. Nicht zuletzt die Sangeskünste des Trompeters Matthias Lauschus, seit Januar mit dabei, ließen den berühmten Funken zum Publikum überspringen — der fuhr in die ansonsten bei Konzerten eher ungenutzten, weil auf harten Stühlen ruhenden, Tanzbeine der Ex-Ostler.
Auf die im Juni '88 gegründete und im Osten als Geheimtip gehandelte Gruppe wurden die westlichen Medien erst aufmerksam, als sie eine Resolution der Künstler auf der Bühne verlesen hatten, dem dann erheblicher Druck von oben und der Entzug der Gagen folgte. Ihre Texte, die die alltäglichen Probleme der Jugendlichen in der DDR und damit beinahe zwangsläufig Probleme mit oder durch das System behandelten, machten sie bei der staatseigenen Plattenfirma Amiga nicht gerade beliebt, so daß sie ihre erste Scheibe erst nach der Wende dort pressen lassen konnten. Die zweite LP »Cafe Größenwahn« mit Songtexten, die sich vor allem gegen die »DDR-Rebellen aus zweiter Hand« richten, die erst nach der Revolution hervorkrochen, erscheint nun bei dem westdeutschen Plattenlabel Musicolor.
Die politische Ausrichtung der sich als Humanisten, Utopisten und Idealisten bezeichnenden Bandmitglieder skizziert Matthias Lauschus mit den Worten: »So links wie möglich.« Die Zöllner treten jetzt im Wahlkampf für die PDS auf, weil »zumindest mit der PDS die eigene Würde erhalten bleibt«, so Dirk Zöllner. Befragt nach den Perspektiven für die Band nach der Maueröffnung und der Einheit meint er, nun werde man mit dem Rest der Welt gemessen; an die Stelle der Zensur des Staates tritt die Zensur des Marktes. Der sieht im Moment allerdings sehr freundlich für sie aus. In diesem Jahr etwa acht Auftritte pro Monat; alle zwölf Leute, inklusive zwei Techniker, können davon leben, die Gage wird zu gleichen Teilen aufgeteilt, Entscheidungen im übrigen basisdemokratisch gefällt. Sigi Mattheis
Nächster Auftritt: Samstag, 17.11. in Berlin-Weißensee und am 20.11. im Haus der jungen Talente, am U-Bahnhof Klosterstr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen