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Grüne durchsuchen Grünen-Zentrale

Bonn (taz) — Das Verhältnis zwischen Einsatz und Ausbeute darf getrost als unverhältnismäßig bezeichnet werden: Ganze 70 Flugblätter und eine Druckvorlage landeten nach mehr als einstündiger Durchsuchung in den Taschen der Staatsanwälte, die gestern nachmittag in Begleitung von mehreren Dutzend Polizisten in die Bundesgeschäftsstelle der Grünen einrückten.

Noch grotesker: Was per Beschluß des Amtsgerichts Bonn von den Grünen bei den Grünen „zur Auffindung von Beweismitteln“ (Durchsuchungsbeschluß) wie eine Geheimsache gesucht wurde, hätten sie in jeder Kreisgeschäftsstelle der Partei öffentlich erhalten können. Denn das inkriminierte Flugblatt, mit dem die Ökopartei nach Meinung der Staatsanwaltschaft zur „Fahnenflucht“ deutscher Soldaten aufruft, ist immerhin bereits seit dem 23. September dieses Jahres bekannt.

Auf dem Bayreuther Parteitag nämlich verabschiedeten die Delegierten mit großer Mehrheit einen „Offenen Brief“ an „Soldaten und Rekruten der Bundeswehr“. Darin lehnen die Grünen „jedes militärische Eingreifen der Bundeswehr am Persischen Golf“ ab und fordern die Soldaten auf: „Verweigert euch diesen Planungen! Verweigert den Kriegsdienst, verlaßt die Armee! Laßt euch nicht zum Kanonenfutter für eine verfehlte und nicht dem Frieden und der Unabhängigkeit unseres Landes dienenden Politik machen ... Wenn Ihr den Befehl bekommt, in einen Krieg irgendwo auf der Welt zu gehen, dann sagt nein und begeht Fahnenflucht.“

Im gestern ausgestellten Durchsuchungsbeschluß wird der Aufruf als strafbare Handlung gewertet. Weiter heißt es unter anderem: „Unberührt bleibt dabei das politische Recht, für die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe zu werben und eine Änderung des Grundgesetzes im Hinblick auf den Einsatz am Golf kritisch zu diskutieren. Solange es aber für einen Bürger rechtlich vorgesehene Möglichkeiten gibt, seinen Einsatz als Soldat am Golf zu vermeiden, kommt Fahnenflucht auch unter dem Gesichtspunkt des Notstands nicht als Rechtfertigungsgrund in Betracht.“

Für den Bundesgeschäftsführer Eberhard Walde jedenfalls ist die ganze Aktion „unbegreiflich“. Die Staatsanwaltschaft ihrerseits verweigerte jede Stellungnahme zur Durchsuchung.

Offen bleibt deshalb die Frage, ob die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt bleibt, wenn mitten im Wahlkampf die Zentrale einer bundesweit vertretenen Partei durchsucht wird und dabei nach Berichten der Beschäftigten auch Kontoauszüge durchgesehen wurden.

Für die Sprecherin des Bundesvorstands, Renate Damus, liegt ein Zusammenhang zwischen der wachsenden Kriegsgefahr am Golf und der Durchsuchung „auf der Hand“. Nach den Worten des Justitiars der Grünen, Dr. Uwe Günther, werde die Partei auf der heutigen Bundesvorstandssitzung der Grünen rechtliche Schritte gegen die Durchsuchung prüfen. Gerd Nowakowski

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