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»Kein Mexiko-City in Europa«

■ DGB stellte Gutachten über die »Ökologisch-ökonomischen Perspektiven für Berlin 2010« vor/ Die Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg soll ökologische Vorreiterrolle spielen

Berlin-Brandenburg. Wenn dem Trend, der seit der Maueröffnung zu beobachten ist, nicht gegengesteuert wird, dann wird es in der Region Berlin-Brandenburg im Jahre 2010 knapp drei Millionen PKWs geben. Derzeit sind es knapp 1,5 Millionen und schon jetzt steht mindestens die Hälfte von ihnen ständig im Stau. Die Horrorzahl von 2,9 Millionen Autos errechnete eine Arbeitsgruppe des Instituts für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) unter der Leitung von Rainer Knigge und Martin Jänicke.

In einem Gutachten namens »Ökologisch-ökonomische Perspektiven für Berlin 2010« wurden aufgrund von Trendberechnungen die ökologischen Folgen dieses Verkehrsaufkommens berechnet und in Alternativ-Szenarien Gegenvorschläge erarbeit. Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung und Verkehrsentgiftung heißt die Strategie der Forscher. Ihre Vorschläge reichen von der Wiedereinführung der Straßenbahn in West-Berlin über Mautgebühren (Stockholmer Modell) bis zu großräumigen intelligenten Verkehrsleitsystemen.

Die Vorschläge zum Problem Verkehr sind aber nur Teilstücke in einem Szenarium über die Wirtschafts- und Strukturpolitik im Ballungsraum Berlin-Brandenburg. Was muß gemacht werden und wie könnte die Region aussehen, fragen sich die Forscher, wenn die Politiker den Willen hätten, in Berlin-Brandenburg eine an ökologischen Prinzipien orientierte Politik zu entwickeln und durchzusetzen? In Auftrag gegeben wurde dieses Gutachten von der Hans-Böckler-Stiftung, dem DGB Berlin und der Senatsverwaltung für Wirtschaft.

Gestern stellte man nun die Ergebnisse vor. Nach Auffassung der gewerkschaftlichen Auftraggeber muß Berlin unbedingt aus den Fehlern anderer Großstädte lernen. »Wir wollen kein Mexiko-City in Europa«, sagte DGB-Chef Pagels. Wenn, und das sind die pessimistischen Berechungen, weiter so geplant und gewirtschaftet wird wie bisher, dann sind folgende Probleme abzusehen: Kurzfristig dramatisch ansteigende Arbeitslosigkeit in fast allen Berufsgruppen, dauerhafte Ausgrenzung unqualifizierter Arbeitnehmer in allen Teilregionen, Verfestigung der sozialen Unterschiede und eine grandiose ökologische Fehlentwicklung.

Wird aber, positiv gesehen, eine ökologisch orientierte Regionalpolitik angestrebt, dann stehen die Chancen gut. Das Image einer »ökologischen Modellstadt«, so die Forscher, »strahlt weit über die Region hinaus und eröffnet auch neue Absatzchancen für Dienstleistungen und Produkte des technischen Umweltschutzes«.

Erster Schritt hin zu einer ökologischen Strukturpolitik wäre die Gründung eines Berlin-Brandenburgischen Umlandverbandes, in dem alle Entscheidungen im Konsens miteinander gefällt werden würden. Zweiter und wichtigster Schritt wäre eine regionale Wirtschaftsförderung, die nach dem Anspruchsprinzip vergeben werden müßte. Verabschiedet werden sollte ebenfalls ein Regionalförderungsgesetz, daß allmählich die Berlinförderung ersetzt. Die Forderung des DGB, jährlich mindestens 50 Milliarden Mark für eine ökologisch orientierte regionale Wirtschaftsförderung zur Verfügung zu stellen, hielt der Senatsrat für Wirtschaftsförderung, Bütefisch, aber für völlig unrealistisch. Er plädierte für die »Münchhausen- Methode«, also nicht auf Hilfe von außen zu hoffen, »sondern sich selbst aus dem Sumpf ziehen«. aku

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