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Hauff schützt Familie

■ Frankfurter OB verweigert Ausweisungsverfügung Innenminister will türkische Familie abschieben

Frankfurt (taz) — Perihan Özdemir sieht schmal aus, ernst und traurig. Sie drückt ihre sechs Monate alte Tochter Gülper an sich. Irgendwann kräht das Kind um die Wette mit dem Sohn des Frankfurter Dezernenten für multikulturelle Angelegenheiten, Daniel Cohn-Bendit. Die türkische Familie ist gestern vormittag in die evangelische Paul-Gerhardt-Gemeinde in Frankfurt-Niederrad gekommen, um Schutz vor der Ausweisung zu suchen, deren Termin für die kommende Woche festgesetzt ist. Pfarrer Stichler hat Perihan Özdemir, ihrem Mann Cemil, der Tochter und dem neunjährigen Sohn Alper Asyl angeboten. Mehrere Frankfurter Initiativen bemühen sich darum, ihnen, die beide elf bzw. zwölf Jahre in Frankfurt leben, den Aufenthalt aus humanitären Gründen zu ermöglichen.

Seit gestern haben die Özdemirs einen neuen Verbündeten gefunden. Oberbürgermeister Volker Hauff (SPD) ließ durch Cohn-Bendit mitteilen, daß er sich weigere, die auf seinem Schreibtisch liegende Ausweisungsverfügung des Innenministeriums zu unterschreiben. Dem war ein jahrelanger Kampf vorausgegangen, bei dem alle zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel ausgeschöpft worden waren. Cemil Özdemir, der eigentlich zum Studium in die Bundesrepublik gekommen war, berichtete auf einer Pressekonferenz darüber, wie sich seine Lebensumstände im Lauf der Jahre immer mehr in die Bundesrepublik verlagerten: „Unsere Existenz haben wir hier Stein für Stein aufgebaut. In der Türkei haben wir nichts.“ Anfang der 80er Jahre hatte seine Frau versucht, zusammen mit dem damals zweijährigen Sohn in die Türkei zurückzukehren. Das Kind hatte darauf mit schweren Verhaltensstörungen reagiert und aufgehört zu sprechen. Sie kehrte zurück, Ärzte vermittelten für das Kind eine langfristige Therapie und rieten energisch von einem neuen Ortswechsel ab. Ein Sozialarbeiter berichtet, daß der Junge noch heute unter den Folgen leidet. Alper selbst erzählt, daß hier aus seinem türkischen Namen ein echter „Albert“ geworden ist.

Daniel Cohn-Bendit betonte, daß dieser Fall kein politischer sei, sondern ein rein menschlicher. Er bedankte sich bei Volker Hauff für dessen Entschlossenheit, den Konflikt mit der Landesregierung auszutragen. Ministerpräsident Wallmann werde, in Erinnerung an seine eigene Amtszeit, sicher einsehen, „daß ein Oberbürgermeister nicht gegen sein Gewissen handeln kann“. Der derzeitige Interims-Innenminister Koch könne das Verfahren jetzt wieder an sich ziehen. Er müsse es aber vor sich selbst verantworten, wenn er, „kurz vor Weihnachten“, seine Hand für eine „unchristliche Unterschrift“ hergebe. hei

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