:
■ Ringelpietz der Erpresser
Eine Komödie, vier Protagonisten: das dynamische Trio Tick, Trick und Track einerseits, ein Dr. Bauer andererseits. Dieser als Charaktermaske: Präsident der Arbeitgeberverbände; jene Comicfiguren nun als seine BewacherInnen, Teil einer militanten Ökogruppe, der es gelungen ist, den Hansel von der Straße weg zu klauen. Ort: ein zu einer geräumigen Zelle ausgebauter Heizungskeller.
Folge: Auseinandersetzungen. Ein Bombardement der guten Laune, Stiche rund um die Traumata linker Geschichte der letzten beiden Jahrzehnte — und schubidu mittenrein, gemeinerweise voller Verstrickungen und ohne daß dem Publikum Gelegenheit gegeben würde, Publikum zu bleiben und einfach nur eine Flasche Sekt aufzumachen. Denn Dr. Bauer, ökologisch und sozial gesinnt, anno 68 »und noch ein SDSler aus der zweiten Reihe, aber schon 1975 Syndicus«, über-lebt sich, während Tick, Trick und Track in eine Existenzkrise geraten.
Dort Christian Geißler mit »Das Brot mit Feile« (1971/76), »Wird Zeit, daß wir leben« (1976) und »kamalatta« (1989): »Nach einer Übung des Bundesgrenzschutzes in einem norddeutschen Industriegelände sagen im Oktober 1967 betroffene Arbeiter: 'Geh doch mal einer los. Mach doch mal einer bewaffnete Arbeiterordnungsübung im Grenzschutzkommando Nord. Probiert das mal durch. Die klatschen euch weg. Die dürfen drohen, wir nicht. Die dürfen schießen, wir nicht.‘ Wer droht hier wem? Wessen Gewalt steht hier gegen wessen Gewalt?« (zu: »Brot mit Feile«)
Hier, und nicht einmal andererseits, Peter Paul Zahl mit einer ebenso langen linken, (west-)deutschen Biographie, lange Jahre eingesperrt gewesen, in zweiter Instanz elf Jahre Strafzuschlag wegen »staatsfeindlicher« Gesinnung erhalten und ebenso zur Sache geschriftstellert: »Von einem, der auszog, Geld zu verdienen« (vier Auflagen seit 1970), »Johann Georg Elser« (1982) und jetzt »Die Erpresser« (Karin-Kramer-Verlag). Die Guerilla erpreßt ihr Opfer und versucht, den Krisenstab zu erpressen, der Entführte erpreßt Politiker und Journalisten; der Staat »läßt sich nicht erpressen« und erpreßt das gesamte Staatsvolk, nimmt es und die Verfassung als Geisel. Und holterdipolter so weiter: ein genußvolles Lehrstück über die (west-)deutsche nicht mehr ganz so Neue Linke.
Einerseits der Dr. Bauer als der eigentlich idealtypische Held alternativer Realpolitik, andererseits diese drei Figuren, die eigentlich eine an sozialer Bewegung und Selbstorganisierung orientierte Perspektive von Emanzipation im Kopf haben. Wer inszeniert wen? Vielmehr eigentlich: Was? Wer? Der Staatsterrorismus als Comic, der Widerstand als Farce — mehr wird nicht verraten.
Daß Zahl seiner Komödie »aus einem sonnigen Herbst in den 90er Jahren« die »optimistische« Wiedervereinigungsversion ökologisch-sozial-»goldener« Jahre zugrunde legte, tut der bitteren Humorigkeit der »Erpresser« keinen Abbruch. Zahl zitiert Momper: »das glücklichste Land der Welt«. Sofern es eben jenem Berliner Großfürsten und seinem Knecht Pätzold nicht einfallen wird, die besetzten Häuser in der Friedrichshainer Mainzer Straße vorher zu räumen, wird Peter Paul Zahl heute abend im dortigen »Antiquariat für DDR-Literatur« aus den »Erpressern« und anderen Texten lesen.
Bei Satzschluß war die Situation in der Mainzer Straße noch unklar. Eigentlich war die Lesung für heute, 19 Uhr 30 im Antiquariat für DDR-Literatur, Mainzer Str. 4, 1055 angesetzt. Zahl liest auch am Tag zuvor, am Samstag, 21 Uhr in der Galerie Neue Räume, Lindenstraße 69, 1-61 arthur kritzler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen