Der exekutierte Drucker

■ Springfeld, Kober, Rutman luden zum Kehraus

Fast verlief ich mich im Wald der aufgebauten Metallkonstruktionen und hätte mich um ein Haar in aggressive Träumereien verloren. Dabei war ich nur auf einem Werkstattfest der Ateliergemeinschaft »Halle Links« in der Holsteinischen Straße 39 gelandet. Der Anblick von Rainer Springfelds Plastik »Chirurg« könnte so mancher zart besaiteter Person schon den einen oder anderen kalten Schauer über den Rücken jagen. Er baut oder verschweißt in seine Metallsäule zahlreiche chirurgische Instrumente ein. Die Zangen oder Scheren tragen so illustre Namen wie »Wundaufhalter« oder »Wundnadeln«, ein Instrument nennt sich sogar »Knochenbrecher«. In der Plastik »Leonardo da Vinci«, einer Hommage an eben jenen Künstler, zeigt sich Springfeld von einer anderen Seite. In diesem, auch »Goldener Schnitt« genannten Werk wird auf die Schwäche menschlicher Existenz hingewiesen. Im runden Kreis aus Metall sind in X-Form rotstichige Fotos angeordnet, die sich von Fuß bis Kopf über Arme und Beine, Becken und Rücken samt Pickeln und Pusteln zum Gesamtmenschen ergänzen. Eingerahmt und vervollständigt wird das Werk durch die zarte Geometrie der eingeschweißten Metallstäbe. Die Halle durchquerend, fand ich mich vor einer Stahlkonstruktion wieder, die auf einem grauen, rechteckigen, schweren Leinentuch stand. Auf dem als Untergrund dienenden Stoff sah ich einen dunklen Fleck, der wie ein Erdteil, vielleicht Afrika, wirkte. Die Metallkonstruktion war übrigens mit Draht umwickelt. Draht gab es überhaupt zuhauf und an verschiedensten Stellen. Sigfried Kober hatte seine ellipsenförmigen Plastiken damit umwickelt. Diese Ellipsen sind mit Graphit bearbeitet worden. Er muß tagelang an ihnen poliert haben, um diesen mattschimmernden, samtdunklen Effekt erzielen zu können. Stellenweise hing der Draht meterlang von der Decke und wurde von den Künstlern so gedreht, geformt oder verknüpft, daß dadurch von mir so genannte Ewigkeitsspiralen entstanden.

Ich ging die Treppe hoch; von einem Korridor über der Ausstellungshalle hatte man einen guten Blick auf alles Dargebotene. Jetzt begann ich zu sehen, daß man die angesprochenen Drahtspiralen auch als verlängerten Strich begreifen konnte, wodurch sich manche strenge Form der Konstruktionen auf eigenartig faszinierende Weise auflöste oder gar beschwingte. Wieder unten in der Halle angelangt, machte ich mir gerade so meine Gedanken über den Scheiterhaufen, aus Tausenden von Streichhölzern errichtet. Auf dem Scheiterhaufen stand eine Computertastatur. Da ging es auch schon los: Durch ein bestimmtes Farbsignal ausgelöst, entflammte der Streichholzberg und setzte den Drucker in Brand. Ätzend beißende Qualmwolken drängten das Publikum einschließlich mir nach draußen.

Einer der Künstler betätigte sich noch als Feuerwehrmann, der mit einem kleinen Feuerlöscher die Flammen erstickte. Nach einer Weile, der Qualm hat sich durch Öffnen von Türen und Fenstern verzogen und der Partytalk hatte längst wieder eingesetzt, folgt der zweite Paukenschlag: Ein Beil, das sich in einem Stahlhalfter befindet, durchschlägt, vom Computer ausgelöst, ein Seil, das mit einem Fallbeil verbunden ist. Dieses wiederum trifft mit unbarmherziger Wucht auf einen Stapel Neonleuchtstoffröhren und löst mit lautem Knall die Implosion aus. Die vorher leuchtenden Neonröhren erlöschen. Abwechselnd begleitet von Angelika Wolf und von Daniel Olansky (USA), erzeugt der Amerikaner Bob Rutman Töne höchst eigenständiger Intention. Mit selbstgebauten Streichbögen — herkömmliche Cellobögen würden reißen, wurde mir versichert — bearbeiten die Musiker Metallstäbe, die in Hohlkörpern, ebenfalls aus Metall bestehend, eingebaut sind. Die Streicher erzielen erstaunliche, singende, meditative Töne — »Industrial Meditation«, bei der einem die Walgesänge in den Sinn kommen. Die Wölbung der Klangkörper erlaubt es den Musikern, sich über ein gleichmäßig symphonisches Rauschen zum Crescendo zu steigern und ein jedenfalls von mir vorher noch nie gehörtes Musikerlebnis zu inszenieren. Mark Schneider