: 1991: Zwei Millionen ostdeutsche Arbeitslose
■ Sachverständigenrat legte Jahresgutachten vor/ Drei Prozent Wachstum
Bonn (dpa/taz) — Die westdeutsche Wirtschaft wird nach Ansicht des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage weiter dynamisch wachsen. Für 1991 rechnen die fünf Professoren des Gremiums, die im Auftrag der Bundesregierung arbeiten, mit einem Anstieg des Bruttosozialprodukts um real drei Prozent nach vier Prozent in diesem Jahr. Sie übergaben ihr Jahresgutachten am Donnerstag in Bonn dem Bundeskanzler.
Für Ost- und Gesamtdeutschland gaben die fünf Wirtschaftsweisen keine genaue Prognose ab. Die Wirtschaftstätigkeit in Ostdeutschland werde zunächst weiter zurückgehen und Mitte 1991 einen Tiefpunkt erreichen. Dann werde ein allmähliches Wirtschaftswachtum einsetzen, heißt es.
Die Verbraucherpreise werden nach Ansicht der Sachverständigen in Westdeutschland im kommenden Jahr um 3,5 Prozent steigen. Im Osten werde der Anstieg noch darüber liegen. Die Anzahl der Erwerbstätigen werde in der ehemaligen DDR weiter abnehmen. Für das zweite Halbjahr 1991 erwarten die Sachverständigen dort rund zwei Millionen Arbeitslose und 1,1 Millionen Kurzarbeiter. Im Westen bleibe die Arbeitslosenzahl 1991 bei 1,9 Millionen. Insgesamt sind es dann fünf Millionen Personen, die nicht oder nur eingeschränkt werden arbeiten können.
Die Vereinigung Deutschlands sei eine große Aufgabe, die alle fordere — Staat, Unternehmen, Tarifparteien und auch die Treuhandanstalt, die die ehemaligen DDR- Staatsbetriebe privatisiert, meinen die Sachverständigen. „Nun gilt es, die bestehenden Hindernisse auf dem Weg zur wirtschaftlichen Einheit wegzuräumen und kraftvoll voranzuschreiten“, heißt es in dem 500-Seiten-Gutachten. Man dürfe aber keine Wunder erwarten: „Der Weg ist hart und entbehrungsreich.“ Wie schnell die Lebensverhältnisse im Osten an die im Westen angenähert werden können, hänge mehr von privaten Investitionen als von öffentlichem Geld ab.
Der Export der westdeutschen Wirtschaft wird nach Ansicht der Sachverständigen 1991 mit 7,5 Prozent fast so stark wachsen wie in diesem Jahr (8,0 Prozent), aber zu großen Teilen in die neuen Bundesländer gehen. Der Exportzuwachs ohne Berücksichtigung der Lieferungen nach Ostdeutschland wird deshalb nur auf 3,5 Prozent geschätzt. Eine ähnliche, aber nicht so deutliche Entwicklung soll es bei den Einfuhren geben, die mit Lieferungen aus der ehemaligen DDR um 8,5 Prozent, ohne diese aber nur um 7,5 Prozent steigen.
Im Außenhandel der neuen Bundesländer zeichnet sich nach der Prognose ein allmählicher Anstieg bei den Einfuhren, aber ein weiterer Rückgang bei den Ausfuhren ab. Als Grund nennen die Sachverständigen die wirtschaftlichen Veränderungen in Osteuropa.
Finanzminister Theo Waigel (CSU) und Wirtschaftsminister Helmut Haussmann (FDP) zeigten sich in einer gemeinsamen Erklärung zufrieden mit dem Gutachten. Sie stimmten mit den Sachverständigen darin überein, daß die Aussichten für weiteres Wirtschaftswachstum in den 90er Jahren günstig seien. Sehr wichtig sei auch der Hinweis der Sachverständigen auf die große Verantwortung der Tarifparteien für die weitere Entwicklung von Wachstum, Stabilität und Arbeitsplätzen, erklärten die Minister.
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