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„Schleyer hätte aufgeräumt"

■ Peter-Paul Zahl las in der Schauburg / Ein Linker zwischen Traum und Trauma

Sechzig sind es am Donnerstagabend in der Kleinen Schauburg, die einer Einladung des Ostertor Buchladens zu einer „szenischen Lesung“ gefolgt sind, altlinke Junglehrer, ABM-gestählte Kulturwerkerinnen, Poeten, junges Gemüse. Letzteres in schwarzem Leder, sonst individuelle Garderobe mit einer auffälligen Tendenz zum roten Schal. Versprengte, weniger ein Klassentreffen als ein Treffen der Klassensprecher. Auf der Bühne: Peter-Paul Zahl, die „Stimme aus dem Knast“, Gesinnungsverurteilter, der von '72-'82, zur heißen RAF-Fahndungszeit, einsaß, oft in Einzelhaft, der auf den Wellen linker Solidarität unermüdlich seine Farcen und Hetzgesänge schrieb, 1980 (Skandal!) den Bremer Förderpreis für Literatur erhielt, der im Knast das Regiehandwerk lernte und der heute in der Karibik lebt. Ganz in Schwarz, Existenzialistenrolli, arbeiternahes Beinkleid, biografisch gekerbtes Gesicht, springvital trotz Bauchansatz, so tritt PPZ in Bremen auf.

Hierhin

Buchtitel

Die linke Legende stellt, zusammen mit dem Züricher Schauspieler Marcus Kaloff, ihr neuestes Buch vor: „Die Erpresser“ — eine „böse Kommödie“. Die Dramaturgie des Abends ähnelt der tourender Bands: Zunächst werden — Thema „Terror“ — ältere Stücke angespielt wie eine Farce zu Otto Schily und der „Amnesie International“, Passagen aus seinem bekannten Schelmenroman „Die Glücklichen“ (1979) und der „Stammheimer Dialog“ von '77. Das Warming Up gelingt mit den ach so vertraut klingenden Begriffen von dereinst: Imperatives Mandat, Gewaltfrage, Vollversammlung, Ulrike. Mit den alten, jetzt waidwunden Gewißheiten. Das tut wohl und bringt Beifall.

Eher Beklommenheit kommt auf mit den „Erpressern“: Mit verteilten Rollen tragen Zahl und Kaloff vor. Der Blick nach vorn zurück. Groß-Deutschland 1997. Eine große starke Ökorepublik, sozial abgefedert, von der KED, der Kapitalistischen Einheitspartei regiert, in der sich alles sammelt von Grün bis Rep. Dr.Bauer, Arbeitgeberpräsident, Ex-SDSler und melancholisch ob der ausgestorbenen Schwalben, ist von einer Guerilla entführt worden, um einsitzende Ökoterroristen freizupressen. In seiner humanitär unbedenklichen Zelle wartet Bauer auf sein Ende, denn der Staat „läßt sich nicht erpressen“, das tut er mit Vorliebe selbst. In rückblendenreichen Dialogen mit den WächterInnen arbeitet PPZ noch einmal an diesen 70er Jahren, die von ihm noch weniger verdaut sind als vom Rest der Republik.

Zehn Jahre Knast, da bleibt ein Trauma. Die Zelle ist dem PPZ immer präsent, die Hafterfahrung schlägt in jedem dritten Nebensatz durch. Nicht nur die Haft. Die ganze Geschichte. Seine „Erpresser“ sind auch eine Abrechnung mit der RAF, aus „Wut“ geschrieben. „Der 2.Juni hätte sich nicht zum Henker machen lassen“, sagt Zahl im Hinblick auf Schleyer. Dr.Bauer — es ist eine Kommödie! — wird freigelassen und strebt gen Bonn, denn „auch der Schleyer hätte in Bonn aufgeräumt,“ sagt PPZ.

„Was hältst du von der Südsee, Spätzchen?“ fragt der freie Bauer seine Ilse. Die Südsee: Der Traum gegens Trauma. PPZ lebt auf Jamaika, in einem Haus mit Südseeblick und Hängematte, wo sich zwischen Brüllfröschen und Nachtigallen, Mozart und Reggae so prima kiffen läßt. Und Theaterarbeit machen läßt mit lokalen Gruppen. Wo man von ihm sagt: „He's a sufferer, he's one of us.“ Und wo die 80er BRD weiter weg ist als die Bleierne Zeit. In Deutschland ist PPZ nur noch „Gastarbeiter“, macht alle paar Jahre Regiearbeiten und Lesungen, mit wechselndem Erfolg (Die Premiere der „Erpresser“ wird nächste Woche in Freiburg zum zweiten Mal platzen; zuerst gabs Zoff zwischen Regie und Darsteller, jetzt will PPZ die Aufführung gerichtlich untersagen lassen: „Verhunzung“ der Vorlage durch den „wildgewordenen Jungregisseur“). „Ich werde ein karibischer Autor“, sagt PPZ.

So sind denn auch die neueren Versuche Zahls zur Vereinigung schon fast rührend agitpropper, in Tönen, die man heute kaum nicht mehr hört: Mit der Öffnung des Brandenburger Tors ist „der Ausbeutung der 3.Welt Tür und Tor geöffnet ... ein Volk — ein Reich — ein Kanzler ...noch ist Schlesien nicht verloren ... die Zukunft: braungebrannt“. — Erzähl' uns von Jamaika, PPZ! Burkhard Straßmann

„Die Erpresser“, Karin Kramer Verlag, Berlin; 14,80 DM

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