: Vereinsleben in Ost-Berlin gefährdet
■ Berliner Justiz streicht Registrierung von 1.800 Vereinen, die erst Anfang des Jahres gegründet worden sind/ Rechtsfähigkeit nach Bundesrecht nicht anerkannt/ Neuanmeldung möglich
Berlin. Die böse Nachricht kam Anfang dieser Woche vom Amtsgericht Charlottenburg. 1.800 Ostberliner Vereine, erst Anfang dieses Jahres gegründet, sollen ihre Rechtsfähigkeit verlieren, weil Ostberliner Richter nach Ansicht ihrer Westberliner Kollegen zu großzügig bei der Anmeldung vorgegangen sind. Die Vereinsvorsitzenden erhielten jetzt Post, daß ihre Urkunde über die Rechtsfähigkeit des Vereins in der Bundesrepublik nicht anerkannt werde und sie sich neu anmelden müßten.
Rund 2.100 Vereine, so eine Rechtspflegerin beim Amtsgericht Charlottenburg, seien in Berlin-Mitte nach dem neuen DDR-Vereinsrecht angemeldet worden. Weil der Andrang so stark war und man allen Vereinen die Arbeitsmöglichkeit so schnell wie möglich einräumen wollte, haben die Ostberliner Gerichte einen unbürokratischen Weg gewählt. Statt lange Anmeldung, Satzung und Vorstandswahl etc. zu prüfen, wurde nur eine Anmeldenummer vergeben und dann eine Registrierung in der »grünen Registerkarte« vorgenommen. Die Vereine erhielten meist sofort nach ihrer Anmeldung, so die Westberliner Richter, eine Registriernummer zugeteilt und die Urkunde über ordnungsgemäße Registrierung.
Die Westberliner Justiz entdeckte nun plötzlich nach der Übergabe der Akten, daß sich auch Vereine angemeldet haben, »die nach unseren Kriterien nicht registriert werden dürften«. Bevor man nun den Einzelfall prüft, hat man ein anderes Verfahren gewählt. Man erklärte, daß der praktizierte Weg auch mit dem DDR-Vereinsrecht nicht in Übereinstimmung steht und deshalb die Beurkundung falsch sei. Eine falsche Urkunde hingegen sei aber nichtig. Alle rund 1.800 betroffenen Vereine — nur bei 300 war die Eintragung noch »vollständig« — gelten jetzt nicht als »eingetragener Verein«. Dabei sei man sich durchaus im Klaren, daß unter Umständen Schadensersatzforderungen entstünden, wenn Rechtsgeschäfte jetzt angefochten würden.
Zu den betroffenen Vereinen gehören neben Sportvereinen auch politische Organisationen, die erst nach der Wende gegründet werden konnten. Entsetzen hat die Mitteilung besonders bei der »Deutschen Gesellschaft für gute Nachbarschaft mit Polen« ausgelöst. Sie konnte, nachdem die Deutsch-Polnische Gesellschaft in der DDR 1952 aufgelöst worden war, erst 1990 neu gegründet werden. Ausgerechnet am Tage des Vertragsabschlusses über die deutsch- polnische Grenze erfuhr der Pressesprecher der Organisation, Harri Czepuck, daß die zahlreichen Bemühungen der Gesellschaft jetzt wieder gefährdet sind.
Inzwischen hat der Staats- und Verfassungsrechtler Prof. Dr. Helmut Ridder, Gießen, selbst Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft, das Verhalten der Justiz als »nicht haltbar« bezeichnet. Der Rechtsakt der Beurkundung könne auch bei Formfehlern nicht per Erklärung aus der Welt geschafft werden. Er bleibe auf jeden Fall wirksam, damit auch die Rechtsfähigkeit der Vereine. Karl Forster
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