: Trinkwasser wurde jahrelang bestrahlt
■ In drei Ostberliner Wasserwerken sind seit 1971 radioaktive Quellen installiert/ Brunnen sollten vor Bakterien geschützt werden
Berlin. Ein strahlendes Gebiß — das drohte dem, der sich in Ost-Berlin die Zähne mit Leitungswasser putzte. Jahrelang wurde in drei Ostberliner Wasserwerken das Trinkwasser radioaktiv bestrahlt. Wie erst gestern bekannt wurde, sind in Brunnen der Wasserwerke Stolpe, Friedrichshagen und Wuhlheide bis heute starke Radioaktivitätsquellen installiert. Die Kobalt-60-Quellen, die in den unterirdischen Brunnenrohren hängen, haben nach Angaben der Senatsumweltverwaltung eine Strahlungsintensität von 110.000 bis 220.000 Giga-Becquerel pro Brunnen. Das sind extreme Werte: Ein Giga-Becquerel entspricht einer Milliarde Becquerel. Ob das Trinkwasser kontaminiert wurde, sei aber offen, sagte Karl-Heinrich Steinmetz von der Atomaufsicht in der Senatsumweltverwaltung. Die Strahlung an sich sei ungefährlich. Wenn die Kobalt-Quellen undicht seien und radioaktive Substanzen austreten könnten, sei aber »alles mögliche« denkbar.
Die betroffenen Brunnen werden nach Angaben der Magistratsumweltverwaltung seit dem 26. Oktober nicht mehr genutzt. 1971 seien die Kobalt-Quellen installiert worden, sagte Reinhard Klemm, der Chefingenieur der Ostberliner Wasserbetriebe (WAB), gegenüber der taz. Sie dienten nicht der Entkeimung des Trinkwassers, sondern sollten verhindern, daß Bakterien die Brunnen mit Eisenablagerungen »verockern«. Das Ziel sei eine »Erhöhung der Lebensdauer der Brunnen« gewesen, erläuterte Klemm.
Die Bestrahlung habe »nie« zu »irgendwelchen Problemen« mit der Trinkwasserqualität geführt, beteuerte der Ingenieur. Mehrmals im Jahr habe das Staatliche Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz Messungen unternommen. Die Senatsexperten, die erst am Donnerstag von der Bestrahlungspraxis erfahren hatten, äußerten gestern aber Zweifel an der Zuverlässigkeit dieser Untersuchungen.
Radioaktive Quellen gibt es nicht nur in Ost-Berlin, sondern in vielen Trinkwasserbrunnen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Im Einigungsvertrag hätten die ostdeutschen Wasserwerke eine Ausnahmegenehmigung erlangt, die — in Westeuropa völlig unüblichen — Kobalt-Quellen noch bis Ende 1992 zu benutzen, sagte Klemm. Aufgrund der »besonderen Bedingungen« in Berlin, so der Ingenieur, habe man die betroffenen Brunnen trotzdem jetzt schon abgestellt.
Nun sollen die Berliner Kobalt- Sonden entfernt werden — offen ist nur, von wem. Die WAB hat bereits einen Partnerbetrieb in Halle beauftragt. Die Umweltverwaltung wußte davon nichts und teilte mit, das Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit (Lafa) werde am Montag mit den aufwendigen Arbeiten beginnen.
Umweltsenatorin Schreyer schickte noch gestern ihre Strahlenexperten los, um die Außenluft über den Brunnen auf Radioaktivität zu untersuchen. Tatsächlich besuchten die Strahlenschützer gestern aber nur das Wasserwerk Wuhlheide. »Wegen der Verkehrsverhältnisse« habe man auf Fahrten nach Friedrichshagen und Stolpe verzichtet, sagte der Leiter der Meßstelle, Udo Morfeld. hmt
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen