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VATER COURAGE UND SEIN SOHN VONRAULBORCHARDT

Vater reist in Eile ab. Er nahm seine Manuskripte und seine Familie mit. Diejenigen, die er als seine Familie betrachtete. Die übrigen waren wir schon unterwegs auf der Strecke geblieben.

Vater war ein bißchen unruhig. Er wechselte die Frauen, er wechselte die Städte, fast könnte man sagen, er wechselte die Kinder. Und einige von uns Kindern waren benachteiligter als andere.

Jedes Kind je nach seinem Sinn für Opportunität. Und man muß zugeben, daß ich eine nicht gerade opportune Überrraschung für meinen einundzwanzigjährigen Vater war. Aber er besaß wenigstens die Höflichkeit, meiner Taufe beizuwohnen, bevor er auszog, um sein Glück als Stückeschreiber zu versuchen.

Mutter wollte kein unnötiges Risiko auf sich nehmen, als sie sich vornahm, ein neues Leben zu beginnen. Sie traf also die kluge Entscheidung, mich beiseite zu lassen, und übergab mich einer Bauernfamilie.

Ich möchte gerecht sein: Ich sehe keinen Unterschied in der Behandlung, die mir meine Eltern jeweils zuteil werden ließen. Offensichtlich war ich nicht das Zentrum ihres Lebens.

Großvater weigerte sich, die Frucht dieser frühzeitigen Liebschaften aufzunehmen. Großvater war sehr umsichtig. Zu bürgerlich, hätte Vater das genannt. Er nicht, beileibe nicht, er machte sich ohne Bedenken aus dem Staub.

Ich wanderte schließlich nach Wien aus. Nicht mit Mutter, glauben Sie das bloß nicht. Ich blieb bei der Schwester von Vaters dritter Frau. Klingt ziemlich kompliziert, nicht?

Man kann sagen, das ich ein Vorläufer in Sachen Emigration war. Damals dachte weder Vater noch dieser Haufen verschreckter Leute daran, abenteuerliche Reisen zu unternehmen.

Das Glück begann, Vater hold zu sein. Publikum und Kritik waren ihm geneigt, so daß er beschloß, sich in Berlin niederzulassen. Die große Stadt.

Er war nicht allein, denn dort lernte er seine neueste Frau kennen, eine ausgezeichnete Schauspielerin. Zumindest erzählt man sich das. Ich habe sie beide nie spielen sehen. Weder zusammen, noch getrennt.

Als der Reichstag abbrannte, machte Vater sich auf die Sohlen, denn die Jungs zeigten sich ziemlich aufgereizt. Frau und Kinder nahm er mit. Ebenso seine Stücke und die Lust, sie zu faszinieren. Ich weiß, daß sie Dänemark erreichten. Von da an weiß ich nichts mehr über ihren Verbleib. Allzu weit können sie nicht gekommen sein, denn die Welt wird für das mächtige Reich immer kleiner.

Schließlich ließ Mutter mich zurückkommen, und Großvater ließ sich dazu herbei, mich aufzunehmen. Es war höchste Zeit, daß jemand von der Familie sich an an mich erinnerte. Mit sechzehn Jahren kehrte ich nach Augsburg zurück, um eher lustlos kaufmännischer Angestellter zu werden.

Der Krieg brach aus. Der wirkliche Krieg, denn anfangs waren es trügerische Kampfhandlungen. Man rückte hier und dort ein bißchen vor, um schließlich in Eilmärschen einzufallen.

Im Oktober 1939 wurde ich eingezogen und als Flieger ausgebildet. Ob Vater stolz wäre, wenn er mich in Uniform sähe? Ich bezweifle es.

Das Fliegen war unterhaltsamer als die kaufmännische Routine. Zumindest zu Anfang. Mit der Zeit bekommt man sogar das Bombenwerfen über. Man drückt auf einen Knopf, und da unten beginnt das Feuerwerk zu sprühen.

Der Krieg ist traurig und unerträglich langweilig, kann ich Ihnen versichern. Seitdem ich einem Infanteriebataillon zugewiesen wurde, ist es noch schlimmer. Zum Glück gibt es Kinos an der Front, um einem das Warten zu verkürzen. Wie es ausgehen wird, wissen wir schon, aber es bleibt uns nichts anderes übrig als weiterzuspielen.

Ich bin gern bei den Filmvorführungen. Auch wenn, wie jetzt gerade, ringsherum Bomben fallen. Es kracht fürchterlich und ich kann den Dialog nicht verstehen. Wenn uns eine träfe, wäre es nicht allzu schlimm, fast so als stürbe man in den Stiefeln. Besser hier als mit dem Maschinengewehr in der Hand.

Fast hätte ich vergessen zu erwähnen, daß heute der 13. November 1943 ist. Und mein Name, falls es Sie interessieren sollte, ist Frank.

Nicht Frank Brecht, wie es durchaus hätte sein können. So viele Frauenwechsel, so viele Städtewechsel, da blieb keine Zeit, dieses jugendliche Versäumnis wiedergutzumachen.

Aus dem Spanischen

von Dorothée von Hase de Moncayo

Raúl Martin Borchardt, in Argentinien am 5.Dezember 1974 geboren, ist Übersetzer und Prosaist. Er lebt in Buenos Aires.

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